StartInterviewsSXSW 2019: Interview mit Tamino

SXSW 2019: Interview mit Tamino

Tamino (Foto: Ramy Moharam Fouad)

Der erst 22jährige belgisch-ägyptische Singer und Songwriter Tamino wird seit seinem Debüt „Amir“ als neues Wunderkind gehandelt. Vergleiche mit Jeff Buckley oder Rufus Wainwright sind nicht selten, Songs wie „Habibi“ oder „Cigar“ stehen für außerordentlichen Gesang, packende Melancholie und die ganz großen Emotionen. Dafür wurde er letztes Jahr bereits beim Reeperbahn-Festival mit dem Newcomer-Award ausgezeichnet. Ich habe ihn in Austin getroffen.

Bist Du das erste Mal hier bei der SXSW?

Ja, die erste Woche, in der ich überhaupt in den USA Gigs spiele.

Und, bist Du aufgeregt?

Bisher sind die Reaktionen fantastisch. Wir hatten einen Showcase in L.A., der wundervoll war. Ich liebe L.A. jetzt schon. Das war wirklich ziemlich gut. Die Leute in den USA sind nicht schüchtern und kommen sofort auf einen zu.

Speziell jetzt das SXSW-Festival, das ist ja etwas ganz Besonderes. Was findest Du hier am Eindrucksvollsten? Hast Du auch schon andere Bands gesehen?

Richtige Gigs habe ich nicht besucht. Ich habe zufällig CeeLo Green gesehen, der „Fuck You“ performt hat, das war richtig cool. Es ist ein wirklich tolles Festival. Eigentlich mag ich solche Showcase-Festivals nicht so gerne, denn das ist manchmal eher wie ein großes Tinder für Musiker. All die Leute der Musikindustrie schauen sich Deinen Gig an und dann wirst Du entweder nach links oder rechts geswiped. Man wird nur bewertet und es geht gar nicht mehr um die Kunst an sich. Aber dieses Festival ist das erste Showcase-Festival, das mir richtig gut gefällt. Es fühlt sich authentisch an und die Leute sind wirklich wegen der Musik hier. Und endlich ist gutes Wetter. Beim Eurosonic oder Reeperbahn Festival ist immer richtiges Scheißwetter, deshalb habe ich bisher mit Showcase-Festivals immer nur Wind und Regen verbunden. Das ist jetzt eine angenehme Abwechslung.

Tamino – Habibi (Live-Video)

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Aber auch hier muss man sich ja erstmal behaupten. Bei Deinem Gig gestern haben die Leute anfangs nicht richtig zugehört und laute Gespräche und andere zeitgleich spielende Bands haben das Konzert nicht gerade einfach gemacht. Sobald Du aber, zum Beispiel bei Songs wie „Habibi“, Deinen beeindruckenden Stimmumfang präsentiert hast, wurden die Zuschauer direkt ruhiger und haben plötzlich zugehört. Woher hast Du diese Stimme? Musst Du jeden Tag stundenlang dafür üben?

Nicht ganz. Ich wärme mich immer sehr gerne vorher auf, das geht natürlich nicht immer. Am liebsten bin ich vorher alleine in einem Raum und mache meine Übungen. Aber mehr ist das eigentlich nicht. Es ist ein bisschen wie Sport. Wenn man das übertreibt, ist es eher kontraproduktiv. Ein bisschen Glück ist natürlich auch dabei.
Einmal hatte ich einen Monat Pause und da habe ich gar nicht gesungen. Als ich dann wieder singen musste, dauerte es ein bisschen, bis ich wieder bereit war.

Nochmal was zu Deinen Texten. Es gibt ja doch noch Leute, die wirklich zuhören und sich auch für die Songtexte interessieren. Deine sind besonders intensiv, man muss wirklich zuhören, um sie begreifen zu können. Woher kommen diese doch sehr intensiven Texte? Du bist schließlich noch sehr jung.

Es ist eine Kombination aus mehreren Dingen. Ich denke, dass beim Songwriting das Unterbewusstsein eine große Rolle spielt. Bei mir ist es meist so, dass plötzlich eine Melodie in meinem Kopf entsteht. Zu dieser Melodie schreibe ich dann einen Text. Ich glaube, es sind ziemlich viele Stationen, die ich da durchlaufe. Es ist zum Einen ein naives Geschehenlassen, dann ein eher rationaler Ansatz, so dass man im Grunde weiß, was man eigentlich sagen will, aber es einfach anders ausdrücken will. Dann gibt es noch die Inspiration. Das ist bei mir beispielsweise Leonard Cohen, der ist einer meiner, ich sage mal, „Helden“. Ich liebe seine Arbeit, ich liebe seine Texte und ich liebe es, dass man sich dafür wirklich hinsetzen, zuhören und darüber nachdenken muss. Einer meiner Lieblingssongs ist „The Stranger Song“. Am Anfang versteht man ihn nicht, aber je öfter man hinhört, desto mehr begreift man die Aussage. Das ist wirklich sehr schön. Aber auch bei mir ist das eine Kombination aus allem – Erfahrung, Gefühl und auch einfach Phantasie. Das hat dann gar nicht so viel damit zu tun, dass ich noch sehr jung bin.
Meiner Meinung nach sind meine Texte aber immer noch sehr naiv, vor allem die des ersten Albums.

Tourst Du viel? Ich weiß, dass Du das erste Mal hier bist auf der SXSW, aber bist Du ansonsten viel unterwegs? Und was ist Dir bei Deinen Gigs wichtig?

Meine Lieblings-Gigs sind die, auf denen Energien ausgetauscht werden zwischen dem Publikum und mir. Wenn ich eine Band dabeihabe, dann natürlich zwischen uns allen. Das ist wie eine Zirkulation der Energien. Normalerweise passiert das, wenn sowohl das Publikum als auch die Musiker wirklich bereit sind, sich hinzugeben und sich gehenlassen können. Dann passiert etwas Magisches, etwas Transzendentes. Ich denke, diese Momente braucht man, das ist ganz wichtig. Deshalb gibt es überhaupt Spiritualität und auch Religionen. Musik ist der perfekte Weg, um diese Momente zu finden und zu fühlen. Aber man muss es wollen. Genauso wie man auch nur meditieren kann, wenn man es wirklich will. Bei einem Konzert ist es ähnlich. Wenn man fühlt, dass man berührt wird und richtig in die Emotion reingehen kann und keine Angst hat – das ist etwas, was ich dann bei einem Gig fühlen kann. Viele sagen zu mir „Hey, Deine Musik ist so düster und traurig“, aber das empfinde ich in diesen Augenblicken gar nicht so. Für mich ist das kein düsteres oder belastendes Gefühl, es ist eher ein warmes Gefühl. Nicht behaglich, aber warm. Die Menschen sind miteinander verbunden, durch Musik. Ich fühle mich dann eher als Botschafter und nehme es nicht zu persönlich. Bob Dylan, ein anderer „Held“ von mir – der kümmert sich nicht wirklich um sein Publikum, bzw. denkt er nicht viel an sie während seiner Auftritte, das habe ich mal gelesen. Bei mir ist das aber anders. Für mich hat das Publikum einen großen Einfluss darauf, wie ich performe.

Gehst Du selbst gerne auf Konzerte?

Ja, eine Zeitlang habe ich das gemacht, wenn ich mal frei habe.

Gibt es ein Konzert, an das Du Dich immer wieder gerne erinnerst und sagen würdest, dass das Dein Lieblingskonzert war?

Es gibt Konzerte, bei denen ich mich sehr transzendiert gefühlt habe – natürlich ohne Drogeneinfluss (lacht). Als Musiker verliert man aber leider einiges, zum Beispiel den naiven Genuss von Musik. Wenn man das trotzdem wiederfindet auf einem Konzert eines anderen Musikers, dann weiß man, dass es wirklich, wirklich gut ist. Das passiert nicht allzu häufig. Das ist dann etwas sehr Ursprüngliches. Eines dieser Konzerte war für mich Godspeed You! Black Emperor. Die habe ich in Amsterdam gesehen. Ich war alleine da, weil keiner mitkam. In Holland geben die Leute für sowas irgendwie nicht so viel Geld aus, deshalb wollte keiner mit. Ich war also alleine dort und ich habe es geliebt. In dem Moment habe ich mich wirklich frei und transzendiert gefühlt.

Wie sind denn Deine Pläne für die nächsten Wochen und Monate? Ist etwas Bestimmtes geplant, vielleicht sogar eine erneute Tour?

Erstmal habe ich jetzt 1-2 Wochen frei und bleibe daheim in Belgien, um ein bisschen zu arbeiten, in erster Linie am neuen Album. Dann steht eine Tour an und ein paar Festivals. Ich hoffe, dass ich dazwischen noch ein wenig Zeit habe zu schreiben und zu komponieren. Konzerte sind zum Beispiel in Frankreich und Deutschland geplant. Vor ein paar Monaten war ich im Quasimodo in Berlin und ich würde mich sehr freuen, wenn ich in Berlin bald noch einen größeren Gig spielen könnte. Skandinavien steht auch noch an und auch eine erneute Tour in den USA wäre toll.

Wie vereinbarst Du diese ganzen Gigs denn mit Deinem Privatleben? Ist das merkwürdig, dass Du schon in jungen Jahren ein ganz anderes Leben führst als Deine Freunde?

Das einzig merkwürdige ist, wie es vor zwei Jahren alles angefangen hat. In Belgien lief dieser Song von mir im Radio und von da an habe ich nur gearbeitet, rund um die Uhr, ohne Pause. Ab da war es einfach merkwürdig, dass die Zeit so schnell vorbeiging. Die Freunde sind halt zu Hause, sie haben sowas wie ein Leben. Und wenn Du dann zurückkommst von deinem Roadtrip, da hatten sie Beziehungen und Du selbst verpasst das alles. Aber sie haben immer an mich geglaubt. Seit wir sehr jung waren, haben sie immer gesagt, dass es passieren wird. Das war von Anfang an eine sehr große Motivation.

Tamino Tour 2019

Tamino kommt im Mai für drei Konzerte nach Deutschland:

04.05.19 Hamburg, Knust
06.05.19 Frankfurt, Brotfabrik
07.05.19 München, Ampere/Muffatwerk

Tamino im Interview mit Nora
Nora
Nora
Aus Braunschweig, seit 14 Jahren in Berlin. Am Ende immer wieder bei Musik gelandet.

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