StartAlbum der WocheM.I.A. - AIM (Kritik)

M.I.A. – AIM (Kritik)

Leicht gemacht hat es M.I.A. nie jemandem, mit ihrem hart an der Grenze zwischen Mainstream (also Super-Bowl-Halbzeit-Show-Mainstream) und Underground (also einen-Beat-aus-dem-Geräusch-eines-Schlagbohrers-bauen-und-Solidarität-mit-Terroristen-zeigen-Underground) operierenden Sound und Image. Die Liste der Personen und Institutionen, die sie im Laufe der Jahre gegen sich aufbrachte, ist ebenso lang wie divers, was wohl auch mit ihrer Lust an der Provokation um ihrer selbst Willen zu tun haben dürfte.

Kein Wunder also, dass auch im Vorfeld der aktuellen Platte „AIM“ erneut alle Register gezogen wurden: Drohungen Richtung Plattenfirma, Kollabos mit Skrillex und Zayn (ja, der One Direction Aussteiger), Kritik an der Black Lives Matter Bewegung und natürlich das (bei uns zum Video des Jahres gekürte) „Borders“, das sich in gewohnt plastisch-plakativer Manier mit der Flüchtlingssituation auseinandersetzte. Da fand jeder seinen persönlichen Aufreger, so dass es beinahe egal schien, dass M.I.A. auch noch mit einem klassischen Letztes-Album-Statement kokettierte und nahelegte, es handele sich um ihr „cleanest“ Album bisher. Irgendwie deutete gerade nach dem partytauglichen „Matangi“ alles in Richtung dicker Dub-Pop-World-Music-Klatsche, die nun nicht mal „Go Off“, Ergebnis besagter Zusammenarbeit mit Skrillex, liefern möchte.

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Klar, die Bässe scheppern, es gibt gepitchte Vocal-Samples und ordentlich Explosionen im zugehörigen Video, doch so richtig eskalieren möchte der Song zu keiner Zeit. Damit ist er akzeptabler Stellvertreter eines Albums, das sich zwar an einer gewohnten Stilvielfalt bedient, diese jedoch in verhältnismäßig aufgeräumten Kontexten ausspielt. Innerhalb dieser macht M.I.A. das Versprechen wahr, das „Borders“ vorab gab: Sie wird wieder explizit politisch und ergreift die Chance, als eine der prominentesten Geflüchteten der Welt ihren Standpunkt zu vertreten.

Das liefert gleich mehrere einzigartige, starke Ergebniss, allen voran das wuchtige, mit einem von Dexta Daps theatralisch dargebotenen Refrain ausgestattete „Foreign Friend“. Hier nimmt M.I.A. die Perspektive einer arrivierten Geflüchteten ein, die nach einem Platz in einer Umgebung sucht, in der ihr immer das Attribut der Fremdheit anhaften wird – ohne Senitmentalität, dafür mit umso mehr persönlichem Bezug. Doch auch Stücke wie das minimalistische, auf orientalischen Samples fußende „Ali R U Ok?“ oder das vor Selbstreferenzen strotzende „Visa“ spielen in verschiedenen Intensitäten mit jenem Thema, das „Borders“ zu Beginn des Albums erneut so wunderbar nüchtern-pointiert in Szene setzt. Diese Verknappung komplexer Themen, um sie in einen Pop-Kontext zu integrieren, bleibt auch auf ihrem fünften Album M.I.A.s Domäne.

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Diese neue Nüchternheit zieht sich durch alle Stücke, auch wenn gerade dadurch vereinzelt auftretende, an den Nerven zehrende Elemente wie das quietschige Kazoo in „Bird Song“ oder die Sirenen im Hintergrund von „Fly Pirates“ mit dem Hörer ob ihrer Prominenz noch stärker auf Konfrontationskurs gehen. Im alten Furor löste sich dieser Lärm in einem viel dichteren Klangbild auf, nun sticht er immer wieder in Form von Widerhaken aus den Stücken heraus. Es geht also immer noch darum, den Hörer aus seiner Bequemlichkeit zu reißen, mit allen verfügbaren Mitteln, und wenn man ihn mittels vereinzelter Pop-Momente erst in einen derartigen Zustand versetzen muss.

So fiele „Survivor“ nicht weiter im Formatradio auf, und auch das sprunghafte „Freedun“ wird spätestens in der Hook von Zayn in Richtung Gefälligkeit verwiesen. Derartige Passagen betonen jedoch vor allem die andere Seite einer weniger kampflustigen M.I.A., die sich dieses Mal auch auf Promofotos sowie in Sachen Covergestaltung sehr gesetzt und ruhig gibt. Da passt „AIM“ dann doch wieder in das Narrativ des letzten Albums, als ein Stück Musik, das dokumentiert, wie eine notorische Rebellin ihren Frieden mit der Welt macht. Vielleicht wäre genau das tatsächlich eine angemessene, letzte Provokation.

7,6/10

„AIM“ erscheint am 9.9. via Interscope auf Platte, CD und digital.

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Sebastian
Sebastian
Aus Saarbrücken, in Münster, immer auf Testspiel, manchmal auch hier: http://mordopolus.tumblr.com/

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