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Iceland Airwaves 2015 – Tag 2

Nach den ersten Eindrücken vom Iceland Airwaves Music Festival in Reykjavik folgt hier mein Tagebuch des zweiten Tages.

Alt trifft neu.

11:30 – Laugavegur

Der isländische Wettergott (oder die isländische Wetterelfe) begrüßt mich heute Morgen mit einem grauen Himmel und dicken Regentropfen. Ich muss gestehen, dass ich mich ein wenig darüber freue, denn so habe ich einen legitimen Grund, den gesamten Vormittag in den vielen Plattenläden zu verbringen. Reykjavik hat eine unglaublich hohe Dichte an Plattenläden und fast jedes Geschäft hat sich auf ein anderes Genre spezialisiert.

Analog ist besser – Sieht so die retroesque Zukunft des Online-Dating aus?

12:15 – 12 Tonar

Durchnässt und fröstelnd betrete ich die kleine Holzhütte in der Seitenstraße und sofort fühle ich mich zuhause. Dieser einzigartige, schwere Geruch, den man nur bei alten Schallplatten und Büchern wiederfindet, zaubert mir ein breites Lächeln aufs Gesicht. Meine Euphorie wird von einem kleinen Mann in der Ecke erwidert, der gerade eine Platte wechselt und mich fragt, ob ich auch einen Kaffee trinken möchte. Ein kurzes Knistern, ein leises Rauschen und das dezente Tröpfeln einer Kaffeemaschine – Verdammt, ich fühle mich hier gerade richtig pudelwohl. Auf zwei Etagen findet man hier hauptsächlich isländische Indie- und Folk-Produktionen, dessen Namen irgendwie alle ähnlich klingen. Jede Etage besitzt eine Sitzecke mit alten, abgewetzten Sofas und tiefen Sesseln. Falls Wes Anderson jemals überlegen sollte, einen Film über einen Plattenladen zu machen, würde ich ihm raten, sich an 12 Tonar zu orientieren.

14:45 – Bio Paradies

Das Iceland Airwaves Festival ist aufgeteilt in offizielle und inoffizielle Konzerte. Während die offiziellen Shows meist in den größeren Konzerthallen der Stadt stattfinden, bieten lokale Kneipen Geschäfte und Hotels den Künstlern weitere Auftrittsmöglichkeiten. So kann es schonmal vorkommen, dass man plötzlich dem Headliner in einem Buchladen begegnet, wo spontan ein kleines Solo-Konzert gespielt wird. Ich glaube, dass es sich bei Bio Paradies um ein Kino handelt, bin mir da jedoch nicht wirklich sicher. Bei meinem ersten Konzert des Tages handelt es sich um Sekuoia aus Dänemark. Die Electronica-Band hat im vergangenen Jahr bei einem deutschen Label unterschrieben und auch schon auf dem Dockville Festival zu meinen persönlichen Favoriten gehört. In der Vorhalle des Kinos riecht es nach Popcorn, was tatsächlich mein einziger Anhaltspunkt dafür ist, dass es sich um ein Kino handeln könnte, und es haben sich noch nicht so viele Zuschauer eingefunden, was zu einer schönen, intimen Performance führt, die nur leider von technischem Versagen begleitet wird. Alle paar Minuten fällt der Sound komplett und aus und das Duo muss ihre Songs neu beginnen. Hoffentlich läuft das bei der offiziellen Show besser…

Und wieder eine isländische Folk-Band…

15:30 – Gamla Bio

Da ich in Hamburg eine kleine Booking-Agentur leite, wurde ich vom Iceland Music Export zu einer Art Speed-Dating mit isländischen Bands und Labels eingeladen. Es haben sich insgesamt sechs Bands angemeldet, die jeweils zehn Minuten Zeit bekommen, um sich mir vorzustellen. Mir gegenüber sitzt eine Bookerin aus der Schweiz und recht schnell entwickelt sich eine kleine Wette. Wer von uns beiden bekommt wohl die meisten CDs und Goodies von den Bands geschenkt? Eine Stunde später vergleichen wir unsere beiden Stapel und ich muss mich geschlagen geben. Zudem hat sie von einer Band zwei Schallplatten geschenkt bekommen, die sie aber partout nicht gegen drei CDs von mir tauschen will. Enttäuscht trinke ich meinen Kaffee aus und mache mich auf zu meinem zweiten Konzert des Tages.

18:00 – The Nordic House

Beim Durchstöbern des Line-Up wurde mir klar, dass ich die Performance von dj flugvel ob geimskip nicht verpassen sollte. Die Tatsache, dass die Isländerin insgesamt sieben Konzerte während des Festivals spielt erleichtert mir meine Planung um einiges. The Nordic House befindet sich, im Vergleich zu den anderen Venues, am Arsch der Welt. Wieder bin ich mir nicht sicher, worum es sich bei dieser Konzerthalle handelt. Hier stehen ziemlich irritierende Gips-Figuren rum, obwohl die sonstige Einrichtung sonst eher an einen Bürokomplex a la Stromberg erinnert. In einem kleinen, bestuhlten Nebenraum baut dj flugvel ob geimskip gerade ihr Equipment auf, was schon ziemlich vielversprechend aussieht. Bunte LEDs, eine Wahrsagerkugel und kleine Stofftiere scheinen wohl ein essentieller Teil ihrer Performance zu sein. Ich komme mit einem älteren Amerikaner ins Gespräch, der sich als riesiger dj flugvel ob geimskip-Fan outet. Er hat sich vorgenommen, alle sieben Konzerte der jungen Künstlerin zu besuchen. Jetzt bin ich ja mal gespannt…Ihre Performance entpuppt sich tatsächlich als ziemlich einzigartig und genial. Zwischen den extrem trashigen und absichtlich dilettantisch performten Tracks erzählt sie kurze Geschichten von Magiern, Drachen, Aliens und dem Weltall. Tatsächlich ist das gerade verdammt interessant, gut und anders. Ich weiß nicht genau warum, aber ich finde das ziemlich stark. Nach dem Konzert beschließen der Amerikaner und ich, gemeinsam in die Innenstadt zurückzugehen. Er lässt es sich jedoch nicht nehmen, vorher noch kurz mit der Künstlerin zu reden. Tatsächlich hat er ihr im Vorwege eine Halskette gekauft, die er ihr jetzt überreicht. Sie ist von der Gesamtsituation genauso irritiert, wie ich.

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19:30 – Hotel Klettur

Ich lege eine kleine Pause auf meinem Hotelzimmer ein und sortiere meine Playlist für den Abend, da ich später noch im Boston, einem kleinen Club, auflegen werde. Tatsächlich will ich nur deutsche Künstler spielen und entscheide mich für eine Mischung aus Electronica und Post-Rock. Was hab ich denn bitte groß zu verlieren?!

22:20 – Tjarnabio

Es ist erst der zweite Tag des Festivals, aber mir gehen die Namen der Venues ziemlich auf den Sack. Kommt es nur mir so vor, oder klingen die allesamt gleich? Im Tjarnabio wird gleich Sea Change die Bühne betreten. Ich habe die junge Norwegerin schon zweimal live gesehen, jedoch noch nie mit voller Band-Besetzung. Irgendwie ist es auch mal schön ein Konzert zu sehen, bei dem man schon vorher weiß, was einen erwartet. Zudem gibt es im Tjarnabio einen bestuhlten Bereich und ein offenes WLAN. Ich glaube, ich habe meine Lieblings-Venue gefunden.

23:35 – Boston Reykjavik

Mit meinem DJ-Equipment unterm Arm renne ich durch den strömenden Regen und stolpere klitschnass in den kleinen Club. Dort verschlägt es mir erst einmal die Sprache. Kennt ihr schon den Typen, der es sich vorgenommen hat, in einem Club voller Mods und Headbanger, direkt nach einer Stoner-Band, Tocotronic und DJ Koze aufzulegen? Ne, den Typen kannte ich bis jetzt auch noch nicht.

00:08 – Boston Reykjavik

Es könnte schlimmer laufen. Ein paar Leute tanzen zu „Rebel Boy“ von Tocotronic und ein Engländer hat mich gerade gefragt: „Hey man, what was the name of the last track?“. Meine Antwort hat für das fragendste Gesicht gesorgt, dass ich jemals gesehen habe. „Oh, the last track? That one was actually called ‚Wo Ist Die Euphorie‘„.

00:35 – Boston Reykjavik

In 25 Minuten muss ich die Musik ausmachen, da auf der Insel eine strikte Sperrstunde herrscht. Ich drehe nochmal ein wenig lauter und beginne, etwas härtere, elektronische Musik zu spielen. Den Gästen scheint es zu gefallen und sie beginnen, kollektiv zu schreien. Auch der Barkeeper springt hinter dem Tresen auf und ab und gröhlt mir zu: „Yeeeeeeaaaaaaahhh, drop that fucking shit!“. Diese Gesamtsituation wirkt gerade ziemlich surreal, muss ich gestehen.

01:45 – Hotel Klettur

Ziemlich verschwitzt und zufrieden liege ich auf meinem Bett. Jetzt noch schnell unter die Dusche und dann ein wenig Schlaf tanken, denn in ein paar Stunden beginnen die nächsten Konzerte.

Hendrik
Hendrik
Hendrik kommt aus Hamburg und macht beruflich irgendwas mit Medien. Und Facebook. Und natürlich auch Digitalkram.

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