StartAlbum der WocheRussian Circles - Guidance (Kritik)

Russian Circles – Guidance (Kritik)

Wenn es ein gängiges Rock-Genre gibt, das noch schwammiger ist als der immerhin noch von Stereotypen geprägte Post-Rock, dann muss es wohl Post-Metal sein. Der Gedanke dahinter ist schlüssig: Was hat der Metal für eine Band zu bieten, die hinter die Klischees des Genres schauen möchte? Was kommt, wenn klar ist, dass die traditionelle Lehre mit ihren Slayer Kopien und Iron Maiden Imitationen keine Antworten mehr bietet? Mitte der 90er plagten den Post-Rock ähnliche Gedanken, doch wo sich die Akteure damals rasch auf einen Sound einigen konnten, irrlichtert Post-Metal noch heute zwischen Drone, Grindcore, Ambient und Extreme Metal umher.

Überträgt man die Parameter des Post-Rock (dynamische Strukturen, Gitarren-Crescendos, fehlender Gesang) jedoch recht unmittelbar auf das Genre Metal, landet man recht schnell bei Russian Circles. Seit nunmehr fünf Alben lädt das Trio aus Chicago die Formeln des Genres mit metallischen Anteilen auf und hat sich damit eine eigene Nische geschaffen, die auch das sechste Album, „Guidance“, nicht verlassen möchte. Wie wichtig das Räudige, Derbe im Sound nach wie vor ist, verrät im Grunde schon das Cover, das auch einem ranzigen 90er-Jahre-Asicore-Sampler entstammen könnte.

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Tatsächlich diente als eine der Inspirationsgrundlagen der neuen Songs eine Reihe Fotographien, die Bassist Brian Cook in die Hände fiel. Zu sehen waren darauf Exekutionen in einem nicht näher bekannten asiatischen Staat, weitere Hintergrundinformationen fehlten ebenso. Jene ungewisse Bedrohlichkeit, die das Cover gekonnt transportiert, liegt auch der instrumentalen Rockmusik mit ihren spärlichen Zusatzdaten, die lediglich über Titel und eben Artwork geleistet werden können, nicht fern. Erneut gelingt es nun Russian Circles, dieser mitgelieferten Suggestion eine musikalische Entsprechung zu verleihen, ohne auf Melodien zu verzichten.

Die Vereinbarkeit der einzelnen Teile stellt exemplarisch „Mota“ zur Schau: Der Song beginnt mit einem seltsamen Groove und elegischer Gitarrenarbeit, entwickelt sich dann aber über Cooks krachenden Bass hin zu einer wuchtigen Gitarrenentladung, die durchaus Black-Metal-Niveau erreicht. Stärker motivisch arbeitet hingegen das monumentale „Afrika“, das seine Riffs mit einem gewissen Sludge-Appeal immer weiter aufbauscht und in Katharsis endet, ohne jemals ein ungelenkes Wendemanöver einschlagen zu müssen. In diesen Momenten darf man einen Einfluss seitens Kurt Ballou, der dieses Mal statt Langzeitkollaborateur Brandon Curtis produzierte, heraushören, muss es aber angesichts der ebenso zahlreichen harmonischen Gegenstücke nicht.

Alleine der ruhige, Folk inspirierte Opener „Ara“ verrät denkbar wenig über die destruktive Kraft, die die Musiker dahinter in wenigen Momenten entfalten werden, währen das melancholische „Overboard“ gar meditative Qualitäten entfaltet. Ganz im Sinne der Kontrastbildung folgt dieser Besinnlichkeit jedoch das wuchtige, mit Math-Einschüben ausgestattete „Calla“, das das infernalische Potential der Band lustvoll auskostet. Natürlich, man kennt all diese Facetten prinzipiell, doch „Guidance“ möchte offensichtlich keinen Neubeginn, sondern die Verfeinerung bestimmter Schemata leisten.

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Mustergültig gelingt diese Strategie auch mit dem abschließenden „Lisboa“, das sich seine Räume vorsichtig erarbeitet, nur um eben jene mit tödlichen langsamen Gitarrensalven in Brand zu setzen und am Ende doch die Erlösung durch Krach zu liefern, die man von derartiger Musik erwartet. Doch Russian Circles liegen richtig damit, ihr Metier nicht zu wechseln, eben weil sie keine bloßen Kopisten sind, sondern experimentierfreudige Instrumentalisten, die im Grenzbereich eines Stils forschen, der noch immer nicht erschöpft ist.

So bleibt der Flirt, den die Band auf „Memorials“ mit Chelsea Wolfe gewagt hatte, als einzelner Moment lohnend, doch mit Blick auf den Status Quo in seiner Singularität richtig besetzt. Russian Circles brauchen weder Verse/Chorus/Verse-Strukturen noch andere Verlegenheitslösungen; „Guidance“ gelingt es auch mit bekannten Elementen, den Hörer immer wieder zwischen Staunen und Schaudern schwanken zu lassen, wie es eben keine zweite Band ihres Ranges vermag.

8,1/10

„Guidance“ erscheint am 05.08. via Sargent House auf Platte, CD und digital.

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Sebastian
Sebastian
Aus Saarbrücken, in Münster, immer auf Testspiel, manchmal auch hier: http://mordopolus.tumblr.com/

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