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Petrol Girls im Interview: „Wenn du deine Wut nicht kontrollieren kannst, gründe eine Hardcoreband!“

Bekleckern sich nicht nur mit Ruhm: Petrol Girls mit Sängerin Ren Aldrigde (2. von links)

Die Hardcoreszene stellt sich schon seit jeher gegen Rassismus, Sexismus, Homophobie etc. Doch kaum eine andere Band aus diesem Dunstkreis hat in den vergangenen Jahren so konsequent für den Feminismus gekämpft wie die Petrol Girls. Nicht nur lyrisch prangern die vier Briten/Österreicher die ungleichen Verhältnisse an und setzen sich für ein selbstbestimmtes Leben abseits der toxischen Männlichkeit ein. Das hat ihnen szeneintern eine Menge Lorbeeren gebracht, aber die Band auch außerhalb des Hardcore-Genres bekannt gemacht. Im Mai erschien das zweite Album „Cut and Stitch“ und die Karriere geht weiter steil nach oben. Was vor drei Jahren auf dem Reeperbahnfestival nicht geklappt hat, hole ich nun nach: Ein spannendes Interview mit Sängerin Ren Aldridge. Das Gespräch fand im Backstage-Bereich der Großen Freiheit 36 in Hamburg statt. Neben der Musik ging es vor allem um das Lieblingsthema der Britin: Feminismus.

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Testspiel: Ihr wart gestern in Köln als Vorprogramm von Thrice und Refused. Wie war es?

Ren: Großartig. Ich konnte beim ersten Song gar nicht nach oben schauen, weil ich so aufgeregt war. So viele Menschen!

Eine Besonderheit der Petrol Girls ist, das ihr mal in England und mal in Österreich eure Basis habt. Wo ist es zurzeit?

Kann auch ziemlich verwirrend sein, je nachdem welche Presseinfo von uns man vor sich hat. (lacht) Momentan leben wir alle in Graz. Die Band entstand in London und wir haben schon an diversen Orten gelebt und als Band existiert. Aber jetzt ist es Österreich. Und wir wollen hier auch noch länger bleiben. Joe [Anm. d. Red.: der Gitarrist der Band] und ich sind Engländer und schauen auch, was aus dem Brexit wird. Ich lebe aber auch schon länger in Österreich und es fühlt sich besser als das UK an.

Inwiefern hat der Brexit Auswirkungen auf die Band?

Es betrifft uns nicht zu sehr, aber es ist alles einfach verwirrend. Wir kämpfen uns da irgendwie durch.

Ihr spielt mehrere Gigs mit Refused und Thrice. Ziemlich große Namen, wie kam es dazu?

Das Ding lief ziemlich lange an. Als wir unser erstes Album in Wien aufnahmen, spielten Refused dort. Und wir dachten: Scheiß drauf, schreiben wir sie einfach an! Unser Drummer Zock war mit Dennis auf Facebook befreundet und hat ihm eine Nachricht geschickt. Wir haben nichts mehr gehört, bis ich eines Tages durch meinen Feed scrollte und sah, dass es noch eine Band namens Petrol Girls geben muss, die mit Refused spielen soll. Wir haben in der Venue angerufen und die haben uns verdutzt mitgeteilt, dass natürlich wir gemeint sind. Also haben wir zusammen eine Show gespielt und von da an ging alles seinen Lauf.

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Inwiefern haben die beiden Bands euch beeinflusst?

Thrice war schon immer eine coole Band, die wir als Teenager gehört haben. Aber Refused ist wahrscheinlich die Band, die uns alle am meisten beeinflusst hat. Diese Kombination aus Musik und Politik hat uns alle extrem geprägt. Super aufregend also, jetzt mit ihnen die Bühne zu teilen.

Welche Werte und politischen Einstellungen teilt ihr mit beiden Bands?

Wir spielen heute unseren dritten Gig mit ihnen, konnten also noch nicht so viel miteinander darüber diskutieren. Aber mit Refused teilen wir offensichtlich antikapitalistische Ansichten. Dennis macht zwischen den Liedern gerne Ansagen zu Migration usw., was ich alles cool finde und meistens teile. Vor Jahren haben Refused mal auf dem Groezrock in Belgien gespielt, ein sehr männerdominiertes Festival. Dennis hat diesen Missstand angesprochen und ich finde es gut, wie er seinen Status und seine Reichweite nutzt, um auf solche Themen aufmerksam zu machen. Als feministische Band imponiert uns so was ungemein.

Feminismus ist ein gutes Stichwort, da es euch inhaltlich sehr prägt. Ich habe mich gefragt, wie Musik für Feminismus kämpfen kann?

Für mich ist das Ziel von Feminismus, die binäre Geschlechterordnung – und alle Ungleichheiten, die damit einhergehen – zu zerstören. Die binäre Geschlechtsordnung ist eine Idee, durch die unsere Gesellschaft und Kultur geprägt ist. Songs, TV-Shows und Popkultur fördern diese Strukturen. Also ist das auch gewissermaßen unser Schlachtfeld. Wenn wir Songs produzieren, die diese Strukturen hinterfragen und herausfordern, dann umso besser. Wir als Band spielen oft vor männlichem Publikum und für mich ist es unglaublich produktiv, bei solchen Shows zum Beispiel über das Thema Einverständnis zu sprechen. Wenn es also etwa um Vergewaltigungen geht oder darum, dass Nein auch wirklich Nein bedeutet. Wenn wir Headline-Shows spielen, rufen wir gerne Frauen oder LGBTQ-Menschen nach vorne. Das kann auch manchmal Probleme heraufbeschwören oder für Männer schwierig werden, ihren geliebten Platz zum Moshen vor der Bühne zu teilen. Und diese Herausforderung möchte ich gerne schaffen und Menschen damit konfrontieren.

Ist Hardcore die beste Musikrichtung, um sich für Feminismus stark zu machen?

(lacht) Naja, Hardcore ist ein sehr wütendes Genre. Das paradoxe und witzige daran ist, dass es gleichzeitig von weißen Männern dominiert wird. Und das ist meiner Meinung nach eine Gruppe, die sich am wenigsten beschweren sollte – im Vergleich zu Schwulen, LGBTQ oder People of Color. Eigentlich sollte Hardcore das beste Genre für Frauen, People of Color oder Transpeople sein, um die Wut auf die Welt und wie sie diese Gruppen behandelt zu kanalisieren und zu thematisieren. Aber in der alltäglichen Erfahrung und im persönlichen Umgang mit Wut – jeder empfindet mal Wut, wenn es z.B. um Kapitalismus oder das Patriarchat geht – gibt es abhängig von der eigenen Identität verschiedene Ventile, um diese Wut zu kanalisieren.

Siehst du in dieser Hinsicht in den vergangenen Jahren einen Fortschritt?

Ich glaube, dass sich so einiges verändert hat. Wenn es etwa um Konsens, sexuelle Belästigung oder andere abgefuckte Sachen geht, hat sich vieles positiv verändert. Wir sind gerade in einer spannenden Phase, wo sich viele Dinge grundlegend verändern. Es heißt nicht mehr: Yeah, Sex, Drugs and Rock and Roll! Diese Einstellung hat ja auch gerne mal sexuelle Gewalt in der Musikindustrie und Rockwelt verschleiert. Das haben wir teilweise #MeToo zu verdanken, aber auch vielen coolen Künstlern und Menschen, die dagegen lauthals angegangen sind. Momentan wird dieser ganze Scheiß, der früher erfolgreich unter den Teppich gekehrt wurde, gar nicht erst akzeptiert. Das ist sehr gut, aber wir haben noch viel vor uns. Wenn es zum Beispiel darum geht, Verantwortliche bzw. Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Aber es wird heutzutage viel öfter angesprochen.

Wäre es dann angebracht, zuerst in der Hardcore-Szene den Zustand zu erreichen, der vom Feminismus angestrebt wird, um dann erst in die Gesellschaft zu drängen?

Ja, total! Die Hardcore-Szene geht ja auch in die richtige Richtung. Viele Menschen bemühen sich noch mehr, diese Themen anzusprechen. Doch manchmal gibt es mehr Probleme mit Menschen, die Gleichberechtigung propagieren, sie aber selbst nicht umsetzen. In manchen Hardcore-Bands gibt es  nach wie vor Menschen, die anderen sexuelle Gewalt antun und ihre Machtposition ausnutzen, so wie es überall auf der Welt solche Menschen gibt. Aber im großen Ganzen hat sich viel in der Hardcore-Szene getan.

Ich habe auch oftmals den Eindruck, dass die Hardcore-Szene von sich aus denkt, sie wäre perfekt und gleichberechtigt. Aber wenn man genauer hinschaut, gibt es auch dort nach wie vor Probleme.

Genau, das ist genau wie überall in der Gesellschaft. Vielleicht ist es in der Hardcore-Szene schwieriger, diese Missstände intern anzusprechen. Wenn man zum Beispiel eine Person einer bekannten und geliebten Band beschuldigt, sexuell übergriffig gewesen zu sein, kann das ganz schnell sehr schwierig werden, weil die Band hinter dem Beschuldigten so respektiert wird. Aber ich glaube, dass wir nach und nach vorankommen.

Ich kann jetzt nur für mich sprechen, aber ich beschäftige mich auch mehr mit Feminismus und Ungerechtigkeit, seitdem ich euch kenne.

Cool! Genau das meine ich auch. Egal welches Musikgenre oder welche Kultur. Es geht darum, die Menschen zu bewegen, Fragen zu stellen und Dinge zu hinterfragen. Ich als Künstler und Musikerin kann bestimmte Dinge „framen“, damit andere Menschen sie aus einer anderen Perspektive betrachten und vielleicht sogar ihren Standpunkt hinterfragen.

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Da eure Show bald startet, würde ich gerne abschließend über euer im Mai erschienenes Album „Cut & Stitch“ sprechen. Mir ist aufgefallen, dass ihr Melodien, ruhigen Momenten, Gesang und selbst Spoken Word mehr Raum gebt. Wie kam es dazu?

Für mich geht es da um Nachhaltigkeit. Eines unserer zentralen Themen – das Hinterfragen der Zukunft – zieht sich durch unsere Diskographie durch. Revolutionen und politische Veränderung sind  laufende Prozesse, die auch im Wandel sein können. Dieser Prozess muss nachhaltig sein. Ich persönlich kann auch nicht die ganze Zeit so wütend sein! Als wir die Band 2012 starteten, war ich ein Kessel voller Zorn und Wut. Mir wurde buchstäblich von meinem Arzt empfohlen, eine Therapie zur Aggressionsbewältigung zu machen. Er hat mir ein lustiges Buch aus den 80ern gegeben. Aber in einer Hardcore-Band zu singen war viel besser als jede Therapie. Wut ist wichtig, aber du kannst sie nicht konstant über Jahre halten. Musikalisch fordern wir uns immer wieder selbst heraus, dynamischer zu sein. Unser erstes Album „Talk of Violence“ von 2016 war größtenteils ein großer Wutausbruch. Aber wo sind die Momente, an denen man pausiert und reflektiert? Manchmal ist schreien die beste Lösung, um deine Aussagen auf den Punkt zu bringen. Oder nicht darüber nachzudenken, sondern es einfach herauszuschreien. Aber manchmal muss man es mit ruhigen Worten versuchen. Ich finde es aber auch interessant, wie dieser Output im Geschlechtervergleich dasteht. Wütende Themen und Ausdrucksweisen sind auf der Bühne fast schon so ein reines Macho-Ding. Aussagen freundlicher und ruhiger rüberzubringen wird als femininer wahrgenommen. Ich mag es, mit dieser Wahrnehmung zu spielen und Erwartungen auf den Kopf zu stellen.

Dein Tipp an wütende Menschen: Startet eine Hardcoreband?

Oh ja, auf jeden Fall! [lacht] Wenn du deine Wutprobleme in den Griff bekommen musst, ist eine Hardcoreband eine verdammt brillante Idee!

Nachklapp: Ja ja, die Doppelmoral. Die ist heutzutage fast überall vorhanden. Kaum eine andere Musikszene stellt sich so entschieden gegen Rassismus, Homophobie, Sexismus usw. Aber dann gibt immer wieder Enthüllungen oder Vorwürfe zur sexuellen Belästigung oder gar Vergewaltigungen in der Hardcore-Szene. Die Petrol Girls sprechen das permanent an. Ren hat mittlerweile seit ein paar Jahren eine gerichtliche Auseinandersetzung am Hals. Zusammen mit vier anderen Frau beschuldigt sie Johnny Fox der sexuellen Belästigung. Weitere Informationen gibt es hier.

 

Erik
Erikhttp://www.erik-kluegling.com
Musik-Enthusiast, Popkultur-Suchti, 89er Jahrgang, Vinylsammler

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