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Ist mir Wurst – Unstatistik des Monats

„Die WHO stuft Wurst und Schinken als genauso krebserregend ein wie Asbest, Alkohol und Zigaretten“ (Die Münchner Abendzeitung). Eines Mal vorab: Wer sich gerade nicht unbedingt eine Asbest-Wurst zu einer genüßlichen Zigarette gönnt und sich danach mit Arsen die Zähne putzt, der hat nicht allzu viel zu befürchten. Es geht um die Wursthysterie. Letzte Woche blieb wohl so manch einem die Fleischsalat-Schnitte im Hals stecken, als er oder sie die Schlagzeilen zum potenziellen Krebsrisiko durch Verzehr von Wurst und rotem Fleisch las. Kaum eine Zeitung, ein Radio- oder Fernsehsender ignorierte die Mitteilung der WHO, die angab, dass sich pro 50g täglichen Konsums von verarbeitetem Fleisch (z.B.: Wurst oder everybody’s darling Speck) das Darmkrebsrisiko um 18% erhöht. Wurst wurde in die gleiche Kategorie der krebserregenden Stoffe wie Zigaretten, Arsen oder Asbest eingestuft. Das basiert angeblich auf 800 Studien (dazu ganz unten was). Die Medien stürzten sich auf unsere geliebte Wurst, wie Bären auf Honig. So kursierten viele beängstigende Titel:

Verarbeitetes Fleisch rangiert Seite an Seite mit Rauchen als Krebsursache – WHO (The Guardian)

Rauchen kann töten, Wurst essen auch? (Die Zeit)

Wurst und Schinken als krebserregend eingestuft! (Die Bild)

Krebsrisiko durch Wurst (Süddeutsche Zeitung)

Womit haben wir es hier also zu tun? Heißen diese 18%, dass von je 100 Menschen, die täglich 50g Wurst zu sich nehmen, 18 mehr an Darmkrebs sterben? Wenn ich 500 Gramm Wurst am Tag esse, steigt mein Krebsrisiko dann um 180%? Ist Wurstessen genauso krebserregend wie Rauchen? Nein, nein und nein. Die Unstatistik des Monats klärt auf: Bei der Steigerung des Darmkrebsrisikos um 18% handelt es sich um ein sog. relatives Risiko, das einen geringen Informationsgehalt für den Leser hat. Um die Mitteilung der WHO korrekt einzuschätzen, benötigt man das absolute Risiko an Darmkrebs zu erkranken. Das liegt bei ca. 5%. Achtung: Erkranken ist nicht mit sterben gleichzusetzen. Das Risiko an Darmkrebs tatsächlich zu sterben liegt nämlich bei 2,5 -3%. Im Klartext bedeuten die „18% mehr“ daher, dass sich das absolute Risiko an Darmkrebs zu erkranken von 5% auf 6% erhöht. Heißt, um 18% von 5% (=0,9%) auf 6%. Die absolute Steigerung liegt also bei etwa 1%. Das ist schonmal verdaulicher als die bedrohlich wirkenden 18%. Leider haben nur wenige Medien korrekt auf den Unterschied zwischen dem relativen und absoluten Darmkrebsrisiko durch übermäßigen Wurstkonsum hingewiesen und damit zur Wurstpanik beigetragen. Auch die Tatsache, dass verarbeitetes Fleisch in die gleiche Kategorie der krebserregenden Stoffe wie Asbest und Rauchen eingestuft wurde, konnten die wenigsten Medien korrekt interpretieren – Vielleicht aus Faulheit. Es bedarf nämlich nur einer 5-minütigen Recherche um zu verstehen, was das bedeutet: Nein, das Krebsrisiko ist NICHT gleich hoch. Die Münchner Abendzeitung erklärte ihren Lesern dennoch, dass Wurst genauso krebserregend sei wie Asbest, Alkohol und Zigaretten. Richtig ist nur, dass die wissenschaftliche Beweislage ähnlich stark ist, nicht aber, dass die Wirkung ebenfalls ähnlich stark ist.

Wie bei vielen Gesundheitsrisiken in Nahrungsmitteln, ging es um die Wurst und dadurch wurde der Schlagzeilen-Turbogenerator ordentlich angekurbelt. Leider ist dabei die objektive oder sachliche Berichterstattung unter den Tisch gefallen. Diese hätte nämlich das Darmkrebsrisiko korrekt in absoluten Zahlen dargestellt und außerdem die krebserregende Wirkung von Wurst richtig eingeordnet. Außerdem unter den Tisch gefallen bzw. falsch dargestellt wurde die Tatsache, dass diese 18% aus einer Subanalyse von lediglich 10 Studien basieren. Die Medien sprachen dennoch von „mehr als 800 Studien der vergangenen zwei Jahrzehnte“ in einem Atemzug mit der Erwähnung der 18% Krebsrisikosteigerung. Irreführend deluxe.

 

Roman
Roman
Geboren im Ruhrgebeat und nach 6 Jahren Ausland, hat Roman 2013 Berlin zu seiner Wahlheimat gemacht. Neben der täglichen, leidenschaftlichen Suche nach neuer, guter Musik (fast) aller Genres, ist er Wissenschaftler.

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