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„Ich behaupte nicht von mir, die Wahrheit gepachtet zu haben“ – Disarstar im Interview

Rapper Disarstar kommt aus Hamburg. Am 15. Februar erschien sein drittes Album „Bohemien“. Sein erstes Album „Kontraste“ schaffte es auf Platz 19 und sein zweites Album „Minus x Minus = Plus“ auf Platz 16 der deutschen Charts. Mediale Aufmerksamkeit hat der Hamburger nicht zuletzt durch seine sehr politischen Texte wie in den beiden Singles „Riot“ und „Robocop“, zu denen am 8. Februar ein Video rauskam. In ihm sieht man vermumte Antifas protestbereit rund um die Hafenstraße und Aufnahmen von den Protesten beim G20 in Hamburg 2017. Aus seiner Verbindung zur linksextremen Szene macht Disarstar keinen Hehl.

Beim Treffen in Hamburg reden wir über seine Musik, aber vor allem über seinen Bezug zu seiner Heimatstadt und dem Stadtteil St. Pauli, Digital Natives und die Autotune-Debatte. Gleich zu Anfang fragt Disarstar, ob wir über Fußball reden können. Er habe sich vorgenommen in Interviews verschiedene Themenstränge aufzumachen, damit jedes Interview einen Mehrwert erhalte und er nicht immer über das Gleiche rede. Über Fußball rede er für seinen Geschmack viel zu wenig.
Schnell wird im Interview deutlich, dass Disarstar, bürgerlich Gerrit Falius, mit seinen Mitte Zwanzig bereits sehr ehrgeizig ist. Durch eine Jugend geprägt durch Sozialarbeiter, Kriminalität und Drogen hat er gelernt, sich seine Träume und Erfolge zu erarbeiten. Disarstar ist freundlich, extrem höflich, aber eben auch ein Profi, der genau weiß, was er will.

© Maximilian König

In einem Interview vor zwei Jahren vor deinem letzten Release von „Minus x Minus = Plus“ hast Du erzählt, dass Du aufgeregt bist – wie sieht es jetzt fast zwei Jahre später mit „Bohemien“ aus?

Genauso. Dieses Mal habe ich nur noch Zeit und es ist noch mehr Action, also habe ich weniger Zeit darüber nachzudenken wie aufgeregt ich bin. Es ist daher eher ein passives Aufgeregtsein. Nebenbei gehe ich ja noch zur Schule, zum Abendgymnasium, und lege bald meine Prüfung in Deutsch fürs Vorabi ab. Deswegen ist mein Pensum gerade so hoch, dass ich kaum Zeit habe mir Gedanken zu machen wie aufgeregt ich bin. Es ist gerade eine krasse Zeit und ich freue mich auf Mitte März, wenn die Tour vorbei ist und ich zur Ruhe komme, alles zu reflektieren.

Spielst Du gerne live, freust Du dich auf die Tour?

Derbe doll. Extrem! Natürlich auch, weil der Vorverkauf gut läuft (zwinkert). Darauf freue ich mich total. Der Druck diesbezüglich ist eigentlich noch größer als bei der Albumrelease, weil ich auf den Konzerten das Feedback der Leute direkt face-to-face bekomme. Mein Album kostet 15 Euro, die Tickets 25 Euro. In Hamburg können 850 Tickets verkauft werden und das wären 850 Menschen, die eine gewisse Erwartungshaltung haben.

Feedback kann sich ja auf verschiedene Weisen ausdrücken. Wie Verkaufszahlen.

Mir geht es eher darum, dass die Leute meine Sachen gut finden und verstehen was ich mache.

Dein neues Album heißt „Bohemien“ – ist das autobiographisch gemeint?

Ja, auf jeden Fall. Gibt eine witzige Geschichte zu dem Titel. In der Zeit, als ich überlegt habe, wie ich das Album nennen könnte, ist Physik in der Schule ausgefallen und ein paar Mitschüler und ich sind gegenüber in das Café gegangen. Es war Sommer und wir haben ein paar Weißwein getrunken. Die Gläser habe ich in meiner Story gepostet und ein guter Freund kommentierte das mit „richtiger Bohemien“ und ich dachte „Ja man, geiler Titel“ (lacht).

Hast Du häufig das Gefühl unterschätzt zu werden?

Viel weniger. Und ich glaube, dass es mit „Bohemien“ noch weniger werden wird. Bei „Minus x Minus = Plus“ war es noch so. Ich habe nicht mehr das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden.

Könntest Du dir vorstellen, mit Leuten zu arbeiten, die, wie Du als Jugendlicher, Konfliktpotential in sich tragen?

Darüber habe ich mal nachgedacht. Auch Psychologie zu studieren und eine Therapeutenausbildung zu machen. Aber Du brauchst dafür einen bestimmten Charakter. Ich bin viel zu narzisstisch und Ego an vielen Stellen. Meine selbstkritische und realistische Einstellung wäre vielleicht eher Lehrer zu werden und den Leuten eine Bulette ans Ohren zu labern. Andererseits versuche ich immer zu helfen und meine Erfahrungen weiter zu geben. Aber wer weiß, was in der Zukunft noch kommt. Dinge verändern sich und man selbst verändert sich.

Du machst ja aktuell auch dein Abi nach – um zu studieren?

Ja. Auf so etwas brotloses wie Philosophie und Geschichte hätte ich voll Bock.

Wen feierst Du in der Deutsch-Rapszene aktuell?

Das neue Dendemann-Album fand ich erstaunlich gut. Auch den Track mit Trettmann. Der hat gute Lyrics und wie mein DJ Rob-Easy sagt: „Er hat den Stift“.

Was sagst Du zu der aktuellen Debatte um Autotune?

Autotune find ich nicht schlecht, habe ich überhaupt nichts gegen. Bei vielen fehlt mir nur der künstlerische Anspruch. Alleinstellungsmerkmal hat immer der, der es als erstes gemacht hat. Was ich lächerlich finde, sind die reproduzierten Sachen heute, die textlich schlecht sind. Da ist vieles, was extrem gleich klingt. Spiel mir 15 Newcomer vor und ich schwöre dir, ich höre den Unterschied zwischen den einzelnen Künstlern nicht. Das ist langweilig und wird sich in Zukunft von alleine abschaffen. Ich finde die Kritik gegen Autotune aber reaktionär. Ich kann nicht von mir behaupten progressiv zu sein und dann immer alles scheiße finde, was Neues passiert.

Ich würde gerne nochmal auf den Track „Wie im Rausch“ von deinem neuen Album eingehen, der bei mir sehr hängen geblieben ist. Da heißt es: „Ich freu mich wie ein Kind über tausend Klicks“ – würdest Du dich als digital native bezeichnen?

Das ist übrigens der hip-hopigste Track vom Album, als Übergang von „Minus x Minus = Plus“ zu „Bohemien“. Zu der Frage: Da ich Geschichte und Philosophie studieren möchte, ist das spannend für mich. Ich setze mich viel mit Dialektik, wo Geschichte als Progression verläuft, auseinander und sehe es so, dass es eine unglaubliche Zeit ist, in der wir leben. Ich gehöre zu der allerletzten Generation, die noch nicht vollständig als digital native aufgewachsen ist. Ich war 10 als wir zu Hause Internet bekommen habe. Ich bin jetzt 25 und wollte nie einer sein, der den Anschluss an die jungen Leute und die Hypes verliert, aber wie die heute groß werden, habe ich jetzt schon das Gefühl nicht mehr zu verstehen womit die groß werden.

Dennoch bist Du ein z.B. ein aktiver Instagram-Nutzer und kein Oberkritiker?

Nein, ich bin kein Oberkritiker. Ich denke dialektisch und habe eine kritische Herangehensweise an Geschichte, um die Gegenwart zu reflektieren. Ich behaupte nicht von mir, dass ich die Wahrheit gepachtet habe, auch wenn ich denke, mit den Dingen, die ich sage recht zu haben. Aber ich schließe nicht aus irgendwann nochmal vom Gegenteil überzeugt zu werden.

In deinen Stories kann man sehen, dass Themen wie Fußball und Fitness eine große Rolle in deinem Leben spielen – aber nicht in deiner Musik. „Wie im Rausch“ oder „Ich hab dich“ handeln von Liebe. Politik und Liebe sind zwei große Themen auf dem neuen Album. Wieso nicht Fußball oder Fitness?

Politik und Liebe sind die beiden großen Themen der Menschheit und ehrlich gesagt für mich Themen, die comfort zone bedeuten. Ich bin 25, wer weiß, was in den nächsten fünf Jahren passiert. Zumindest möchte ich darüber hinauswachsen und dann in meiner Musik von mir aus auch mal über Fußball reden. Ich entwickle schon Ideen fürs nächste Album. Insgesamt habe ich aber auf dem neuen Album versucht mehr Leichtigkeit rein zu bringen, auch wenn es immer noch schwer ist. Insgesamt zum Vorgänger „Minus x Minus = Plus“, aber schon viel positiver.

Du wolltest über Fußball reden. Lass uns erstmal über den Stadtteil St. Pauli reden.

Ich habe wilde Zeiten hier erlebt. Mit 17 bekam ich meine Wohnung auf St. Pauli, also wohne ich seit acht Jahren hier. Hier habe ich die prägendsten, turbulentesten Zeiten durchgemacht, in denen ich mich am Meisten entwickelt habe.

Du wohnst auf St. Pauli, bist aber HSV-Fan. Ein Widerspruch?

Ich bin HSV-Fan seit ich ein kleiner Junge war. Ich habe aber kein negatives Verhältnis zum FC St. Pauli. Hamburg ist für mich die schönste Stadt der Welt und das kann ich sagen, nachdem ich schon einige Städte bereist habe. St. Pauli als Stadtteil ist das Herz dieser Stadt. In der Regel wird man zum Fansein erzogen oder hat irgendwann ein emotionales Erlebnis. Das hatte ich mit 7 schon, als mein Opa mich mit ins Stadion genommen hat. Das ist in mir drin. Bei keinem anderen Verein schreie ich rum oder bin vor dem Spiel aufgeregt. Aber ich gönne dem FC St. Pauli alles und freue mich auch, wenn Bremen eine geile Performance abliefert. Ich hab Bock mir Fußball anzugucken und hege keinen Hass gegen andere Vereine.

Wie siehst Du die Entwicklungen auf St. Pauli in den letzten Jahren?

Schick geworden, aufgefrischt. Mein Vermieter hat einen sozialen Anspruch – sonst hätte ich die Wohnung mit 17 wahrscheinlich auch nicht bekommen. Die machen scheinbar diesen Gentrifizierungswahn nicht mit. St. Pauli bedeutet für mich Identifikation. Ich war mit 15 schon politisch und bin mit linksradikalen Strukturen in Berührung gekommen. St. Pauli hat seinen Teil dazu beigetragen. Wenn ich z.B. bei Douglas reingehe, habe ich das Gefühl derbe fehl am Platz zu sein. St. Pauli ist für mich das direkte Gegenteil. Das passt wie die Faust aufs Auge. Da fühle ich mich zu Hause.

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Disarstar Live 2019

1.3. Berlin, Musik & Frieden
2.3. Hamburg, Mojo Club
3.3. Hannover, Lux
7.3. Frankfurt, Nachtleben
8.3. München, Milla Live-Club
9.3. Stuttgart, Schräglage Stuttgart
10.3. Köln – Yuca

Helen
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