StartAlbum der WocheHeisskalt - Vom Wissen und Wollen (Kritik)

Heisskalt – Vom Wissen und Wollen (Kritik)

Binsenweisheit No.1: Hardcore/Punk floriert gerade in Deutschland. Binsenweisheit No.2: Image ist ein doppeluzüngiges Biest. Triffst du mit deiner Selbstinszenierung einen Nerv, kannst du deiner eventuell eher mittelmäßigen Musik ungeahnten Glanz verleihen. Machst du es wie Heisskalt zu Beginn ihrer Karriere, kann dich am Schluss niemand so recht leiden: Dein Name klingt nach Schülerband, du stehst bei einer Splittergruppe des in Szenekreisen suspekten Hipsterlabels Chimperator unter Vertrag und deine Debütsingle gerät dank massivem Airplay in den Verdacht, sich plump an den Zeitgeist anzubiedern.

Tastet man sich mit diesem Bild an das zweite Album der Stuttgarter heran, fliegt man mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit auf die Fresse. War das Debüt „Vom Stehen und Fallen“ schon ein verhältnismäßige zäher Brocken, üben sich Heisskalt auf „Vom Wissen und Wollen“ noch stärker in Verklausulierung, verschlungenen Strukturen und kleinen Experimenten in Sachen Sound. Hits sind dabei rar, stattdessen wagt es die Band, sich für ein Mainstream-Publikum zu quer zu stellen und für selbsternannte Szenekenner zu melodiös zu agieren, wie die mit kryptischem Sprachsample („Who/Are/You“) arbeitende Single „Absorber“ exemplifiziert.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Am Ende brennt das Stück zwar gnadenlos aus, doch vor allem zu Beginn wagen Heisskalt eine Kombination aus tanzbarem Beat, zurückhaltend-schwebender Gitarrenarbeit und besagtem Sample, das ein wenig an den Miley Cyrus Einsatz in Alt-Js elegischem „Hunger Of The Pine“ erinnert. In Addition ergibt sich hieraus zwar sicher das verschrobenste Stück des Albums, das in seinem gewundenen, traurigen Avantgardismus jedoch auch symptomatisch für „Vom Wissen und Wollen“ steht. Großen Anteil daran hat Mathias Bloech, trotz der derzeit geführten Debatte um die Qualität seiner Texte: Die geschrieenen Passagen geraten angenehm eindringlich, für eine Hook ist er sich ebenfalls nie zu schade („Nichts weh“), doch für die packendsten, eigenwilligsten Passagen sorgt sicher sein Sprechgesang.

„Angst hab“ erweist sich hier als flirrendes Paradebeispiel, bei dem Bloech sich in den Wirbel der ratlosen Emotionen einer Generation wirft. „Apnoe“ überführt diesen Ansatz in Posthardcore-Gefilde und liefert damit eine Blaupause für den Mittelteil des Albums. Etliche Stücke pendeln sich hier um die Fünf-Minuten-Marke ein und sind geprägt von ruhigen, flächigen Arrangements, die sich behutsam entfalten können. Zeitlich sind Heisskalt gut aufgestellt, weit über 50 Minuten und noch weiter über den Genrestandard erstrecken sich ihre zwölf neuen Songs, aufgelockert nur hie und da von potentiellen Brechern wie dem Sturm & Drang Opener „Euphoria“.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Noch brachialer gibt sich der lupenreine Aggro-Bolzen „Tanz, tanz“, der den Weg ebnet für das überlange Finale „Papierlunge“, das „Vom Wissen und Wollen“ zwar nichts grundsätzlich Neues hinzufügt, aber einen würdigen Schlusspunkt setzt. Am besten funktioniert das Album ohnehin im Zusammenhang, wenn die einzelnen starken Momente sich zu einem Kaleidoskop verdichten, das in dieser Form vermutlich einmalig in Deutschland ist. Man kann hier zwar das transparente Geschrei von Fjørt Frontmann Chris Hell erkennnen, ebenso wie den angespannten Postpunk der Nerven oder die codierte Sprache Turbostaats, so richtig zu fassen kriegt man Band und Album damit aber nicht.

Doch mit dieser Erkenntnis hat man immerhin einen ersten, entscheidenden Schritt hinter sich gebracht: Heisskalt sind spätestens mit diesem Album zu einem bereichernden Teil der deutschen Hardcore-Szene geworden, als derer sie es sich sogar erlauben können, einen Song in bester Flach-Deutschpop-Manier „Lied über Nichts“ zu nennen, ihn auch noch rein schematisch an eben jenes Genre anzulehnen, im gleichen Atemzug jedoch textlich wie qualitativ klarzumachen, dass man in einer gänzlich anderen Liga spielt. Da kann die hiesige Szene florieren wie sie will: An die Intensität von „Vom Wissen und Wollen“ werden in diesem Jahr nur wenige Platten heranreichen.

7,9/10

„Vom Wissen und Wollen“ erscheint am 10.06. via Department auf Platte, CD und digital.

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von Spotify zu laden.

Inhalt laden

Sebastian
Sebastian
Aus Saarbrücken, in Münster, immer auf Testspiel, manchmal auch hier: http://mordopolus.tumblr.com/

UNTERSTÜTZEN

Liebe Leser*innen und Fans, wir brauchen Eure Unterstützung! Hier erfahrt Ihr, wie Ihr uns unterstützen könnt.

FOLGT UNS

Beliebt