StartInterviewsDie Genre-Orgie aus Leipzig – Lingua Nada im Interview

Die Genre-Orgie aus Leipzig – Lingua Nada im Interview

sympathisch, taktsicher, gut: Felix, Adam und Arvid a.k.a. Lingua Nada (v.l.n.r.)

Endlich kommt mal wieder was richtig verrückt Gutes aus Deutschland! Lingua Nada nennen sich die drei Leipziger Klang-Extremsportler rund um Sänger und Gitarrist Adam Lenox Jr., Bassist Arvid Sobek und Schlagzeuger Felix Kothe. Erst im vergangenen Jahr beglückte das Geheimtipp-Debütalbum „Snuff“ die Ohren ausgewählter Kenner. Ziemlich genau heute erscheint der Nachfolger „Djinn“ und das Ding ballert richtig durch. Kein Wunder also, dass da der Drang entsteht, die Jungs zum Gespräch zu bitten. Wie gut, dass sie Teil des Reeperbahnfestivals sind und Mittwoch im Plattenladen Hanseplatte eine geile Show abzureißen. Zwischen Lattenplatz und Essensausgabe auf dem Heiligengeistfeld setzen wir uns in einen Irish Pub und schnacken auf ein Bier. Neben den dreien sind noch Live-Bandmitglied Simon und der stilsichere Manager Fritz dabei. Während im Hintergrund Champions League über den Flatscreen flimmert, reden wir über personelle Veränderungen, die neue Platte „Djinn“ und das bunte Artwork der Band.

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 Testspiel: Ihr seid momentan mitten in einer Europatour. Wie läuft es bisher?

Felix: Spannend!

Arvid: Alle Konzerte liefen gut, bis zum Ende hin wurde es ein bisschen stressig. Aber der Großteil – also Fahrten, Organisation, Locations – lief alles glatt. Es waren alles schöne Abende. Stressiger wurde es, weil vormittags Termine hinzukamen und manche Fahrten länger wurden.

Ihr bereist noch Frankreich, Polen usw.?

Arvid: Polen nicht, aber Slowenien und Slowakei. England ist auch noch dabei und noch zwei oder drei Shows in Österreich und der Schweiz.

Felix: Budapest?

Arvid: Na, Budapest nicht. Aber Bratislava!

Felix: Genau, mit B. [Alle reden durcheinander, in welchen europäischen Städten sie noch spielen. Es herrscht Uneinigkeit, die letztendlich in Gelächter endet.]

Felix: Frankreich, England und Deutschland. Europatour ist ein bisschen hochgegriffen [lacht]

Immerhin, ist ja schon ein bisschen durch Europa. [Anm. der Redaktion: Neben den sechs bereits genannten Ländern ist auch noch Luxemburg dabei.] Ihr habt auch schon drei Konzerte mit This town needs guns gespielt. Ich würde behaupten, da gibt es Inspirationen oder Übereinstimmung.

Adam: Ich finde „Animals“ geil! [Anm. d. Red.: Das hörenswerte Debütalbum von 2008] Ich habe dann für sechs Monate open tunings gespielt. Nach ein paar Malen fand ich das zu blöd, weil man auf eine Stimmung beschränkt war.

Arvid: Da bin ich raus.

Adam: Ich spiele lieber Punkrock! [lacht]

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Sind das Vorbilder von euch? Wie war das, mit solchen Leuten Konzerte zu spielen?

Adam: Das war richtig easy! Der Gitarrist Tim hat uns auf Facebook geaddet und eine richtig nette Nachricht geschrieben. Er meinte: „Wir freuen uns, mit euch zu spielen und meine Freundin kommt auch aus Deutschland!“ Bla bla bla, ein kleiner netter Text. Dabei wussten wir doch alle, wer du bist! [lacht]

Arvid: Ich finde die Band ein bisschen belanglos, weil Math Rock auch nichts für mich ist. Aber die Leute sind nett. Adam ist da eher hinterher.

Adam: Es war nice, weil die Leute überhaupt nicht abgehoben waren. Echt coole Leute, die immer noch ziemlich DIY sind.

Arvid: Sie sind zu dritt gefahren, in irgendeinem gammeligen Van.

Adam: Und sie hatten zum ersten Mal einen Booker, sonst haben sie alles allein gemacht! [lacht]

Krass! Ich durfte vorab in euer neues Album „Djinn“ reinhören, das am Freitag erscheint. Es klingt sehr anders als der Vorgänger. Inwiefern hat das mit der veränderten Bandbesetzung zu tun? [Anm. d. Red.: Gitarrist und Schlagzeuger verließen die Band „ohne Drama“ nach der Tour zum ersten Album „Snuff“]

Felix: Einerseits die Neuformierung der Mitglieder, andererseits haben wir das Instrumentarium auch verändert. Eine Gitarre weniger, dafür sind andere Instrumente, auch elektronische, und mehr Gesänge hinzugekommen. Vorher war es puristischer mit Gitarre, aber vielen Effekten. Jetzt sind auch Synthesizer, Beatmachines und noch mehr Effekte dazugekommen. Sowohl auf dem Album als auch live.

Wie kam der Wechsel vom gitarrenlastigen zum elektronischeren Sound zustande?

Arvid: Wir haben mit Blur gespielt. [lachen]

Adam: Nein, das sind einfach Entwicklungen. Die neusten Instrumente, die existieren, sind Synthesizer. Ich habe die vergangenen drei oder vier Jahre probiert, meine Gitarre wie einen Synthesizer zu spielen und klingen zu lassen. Und irgendwann dachte ich mir: Kauf dir doch einen scheiß Synthesizer! [lacht] Das war für mich eine ganz normale Entwicklung.

Felix: Für mich als Schlagzeuger war es auch neu, den Sound elektronisch zu verzerren oder zu bearbeiten. Dadurch entstehen coole Sachen, auch mit Samples. Das macht die ganze Palette noch reicher. Das hat ganz gut funktioniert, aber man versucht auch, wenn man neue Spielzeuge hat, die öfter zu benutzen. Das hat auch ganz gut geklappt.

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Woher kommt dieser Drang, sich ständig weiterentwickeln und experimentieren zu wollen, um sich nicht nur auf einen Sound zu beschränken? Auf „Djinn“ kommen teilweise Drum and Bass Beats dazu.

Arvid: Das mit Drum and Bass baut auf der Idee auf, die noch aus der alten Besetzung hervorkam, aber wir nie aufgenommen haben. Durch die Synthie-Sounds vom Bass entstand ein Wobble-Sound, den haben wir auf der neuen Platte ein bisschen weitergetrieben und strukturiert. Wir haben das dann Acid Jazz genannt und nicht Drum and Bass, dann war es eine runde Kiste. [grinst]

Felix: Wir hören auch alle krass viel Musik und sind nicht auf Genres festgelegt. Jeder hört quer durch die Bank weg. Das spiegelt sich in unserer Musik wider, ohne dass es sich auf ein bestimmtes Genre festzurren lässt. Solang es gut in den Song passt, ist es absolut legitim es auch zu machen. Unsere Musik lebt von vielen Wechseln und der Möglichkeit, ganz viele Genres zu betreten. Ist doch menschlich, Bock auf was Neues zu haben und Sachen auszuprobieren.

Wie wollt ihr diesen neuen, noch komplexeren Sound live umsetzen?

Arvid: Du wirst es auf unserer Show sehen. Live ist es schon ein bisschen anders, kommt aber nah an die Platte ran.

Felix: Kompromisse beim Schreiben, Proben und im Studio eingehen, damit wir das immer noch live umsetzen können.

Arvid: Wenn alle ihre Backen zusammenkneifen, könnten wir das auch zu dritt spielen. Aber es ist viel entspannter, wenn Simon, unser Live-Bandmitglied dabei ist. Sowohl menschlich als auch musikalisch. Auch wenn es nur ein Schüttel-Ei ist, dass er zwischendurch spielt. [lacht]

Ihr habt euren Produzenten Magnus Wichmann als viertes – oder Simon mitgezählt – fünftes Bandmitglied und als einzigen Produzent für euch bezeichnet. Was macht eure Beziehung aus?

Adam: Er ist mittlerweile einer unserer besten Freunde und ich glaube er weiß, was unsere Ideen sind und was uns ausmacht. Das kann man nicht von jedem Produzenten sagen. Und dann ist er natürlich gut.

Arvid: Er ist auch einen Monat mit uns zusammen im Studio gewesen und er war der Einzige, der jeden Tag da war. Wir hatten alle mal eine Auszeit, Magnus nicht. Das funktioniert vielleicht auch nur, wenn es ein Kumpel ist. Der hätte eine Menge potenziellen Frust abbekommen können, ohne dass es eskaliert wäre.

Felix: Ich habe Magnus erst im Studio kennengelernt. Menschlich ist er eine unglaubliche Bereicherung und weiß viel über Soundaufnahme. Er ist selbst Schlagzeuger, was ich sehr zu schätzen weiß. Er hat eine Meinung, die uns etwas bedeutet.

Arvid: Er hat gute Ideen, die sich super mit unseren decken.

Ich würde gerne auf euer Artwork zu sprechen kommen. Das ist schon abgefahren, ich würde es genau wie eure Musik als collagenartig bezeichnen. Wie kam etwa das Artwork von „Djinn“ zustande?

Lingua Nada, Djinn, VÖ: 27.09.2019

Adam: Ich habe es gemacht. [lachen] Ich war in Marseille und hatte die Idee, ein eher digitales Cover zu machen. Ich habe die Idee umgeworfen, da ich einen Künstler entdeckt habe, der viel mit Masken macht. Ich habe ihn angefragt und er hat Fotos mit uns gemacht. Das Ergebnis hat dann super gepasst.

Da steckt viel Zufall dahinter. Die Videos sind auch allesamt empfehlenswert! Wie kommt man auf teilweise so bescheuerte Ideen? Wie entstanden zum Beispiel die Computeranimationen in „Habiba“?

Arvid: Unterschiedlich. Irgendjemand hat eine Idee – in vielen Situationen kamen von unserem Manager Fritz oder dem Kameramann Kevin Ideen. Bei „Salam Cyber“ gab es einen groben Fahrplan, Adam hat den Text und die Story des Songs im Kopf und uns das grob beschrieben. Das ist auch mit ins Video eingeflossen. Für das Video sind wir nach Marokko geflogen und hatten unter den Begebenheiten dort den Plan geändert. Vieles entstand spontan. Die Animationen sind von Max Nass. Die haben wir teilweise auch in „Habiba“ übernommen, das wir mit einem Kumpel aus Leipzig gemeinsam produziert haben.

Adam: Ich habe die einzelnen Modelle in „Salam Cyber“ genommen und mein Kumpel Achim zeigte mir, wie man 3D-Videos erstellt.

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Adam, steckst du dann auch hinter dem Computerspiel, das im Vorfeld zum ersten Album „Snuff“ entstand? Da steckt ja auch ziemlich viel Inhalt drin.

Adam: Hat es bei dir funktioniert? [lachen]

Hat sehr gewackelt, ich bin ein bisschen herumgeflogen, aber mein Rechner ist auch nicht der beste.

Arvid: Ja, es lag ganz klar am Rechner! [lachen]

Welche Idee steckt dahinter?

Arvid: Ist für uns eine Art, sich kreativ zu verwirklichen.

Adam: Gerne auch audiovisuell, 3D-Zeug, Videospiel. Das kombiniere ich gerne alles auf einmal. Allerdings ist das Spiel zu groß, um auf Flash zu landen. Ich habe zwar Ahnung, wie man ein Videospiel programmiert, aber ich weiß nicht, wie man es so einstellt, dass man es im Web-Browser vernünftig spielen kann. Das ist gar nicht so einfach. [lacht] Es laggt überall, aber auf meinem Rechner funktioniert es. Ihr seid gerne alle herzlich willkommen, es bei mir zu spielen. [lacht] Unterm Strich ist es ein failed experiment, aber es war trotzdem lustig.

Hoffentlich lustig genug, um noch einen zweiten Versuch zu starten!

Adam: Ich hatte auch Bock, etwas für „Djinn“ zu programmieren, aber leider keine Zeit.

Felix: Ich würde es gerne so machen wie damals die Gorillaz mit „Clint Eastwood“. Das Album dazu konnte man in den PC stecken und noch ein Spiel spielen. Das hat 32 Mark gekostet, das weiß ich noch ganz genau, weil ich dafür wochenlang gespart habe.

Arvid: Das war damals schon krass, weil man in die digitale Phase kam und neue Sachen ausprobieren konnte.

Felix: Da hatte man auf der CD noch Platz für ein kleines Gimmick.

Arvid: Oder Hidden Tracks.

Felix: Oder andere witzige Sachen. Zum Beispiel JPEGs von unseren Urlaubsbildern 2019! [lachen]

Erik
Erikhttp://www.erik-kluegling.com
Musik-Enthusiast, Popkultur-Suchti, 89er Jahrgang, Vinylsammler

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