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Album der Woche: Haiyti – Nightliner (Kritik)

2016 nähert sich langsam seinem Ende, was nicht nur bedeutet, dass hier innerhalb der Redaktion fleißig Bestenlisten ausgeknobelt werden, sondern auch, dass gewisse Pop-Phänomene diskutiert werden müssen, die in diesem Jahr eine zentrale Rolle spielten. Die Transformation, die Cloud Rap von der belächelten Kuriosität zur Hoffnung für deutschen Hip Hop durchmachte, gehört auf jeden Fall dazu, gerade weil jeder das Gefühl hat, es sei ja nun endgültig alles über diese Nische gesagt worden, was aber selten falscher war als an just jenem Punkt, an dem Cloud Rap kurz davor zu stehen scheint von der Industrie geschluckt zu werden. An diesem Punkt kommt Haiyti ins Spiel.

„Nightliner“ umgibt, besonders im Gegensatz zum ebenfalls in diesem Jahr erschienenen „City Tarif“, den Aura einer milde professionellen Veröffentlichung, obschon es sich genau genommen um ein weiteres Mixtape handelt (an dieser Stelle sei all jenen, die finden, der Titel ‚Album der Woche‘ sollte nur tatsächlichen Alben vorbehalten sein, Maltes Happy Release Day Reihe ans Herz gelegt; da werdet ihr auch diese Woche wieder fündig). Statt eines Gratisdownloads muss man das Teil jedoch kaufen oder eben bei einem der bekannten Dienste streamen, und das ist ein vollkommen nachvollziehbarer, legitimer Schritt; schließlich können auch Cloud Rapper nicht nur von Luft und Lean leben. Zudem könnte der Stil nach dem Hype um Straßenrap in den letzten Jahren tatsächlich neues Futter für den stetig nachfragenden Markt liefern. Umso schöner, das Haiyti auch heuer Anknüpfungspunkte in unterschiedliche Richtungen findet, und vielleicht gerade darüber ungeahnte Relevanz entwickeln könnte.

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„Nightliner“ lebt von ihrem Gespür, aus Emotion, Wahnwitz und Straßengeschichten lupenreine Hits zu zaubern. Die Elemente sind bekannt, werden hier jedoch frisch kombiniert und in verschiedenen Intensitätsgraden nebeneinander gestellt. Das von Lex Lugner produzierte „Globus“ schippert etwa bereits in Chartsichtweite, wo an anderer Stelle eiskalte Banger wie „Playboykette“ oder der angriffslustige Opener „Kampfhund im Club“ regieren. Gemein sind ihnen jedoch ihre unverwechselbaren Hooks, von denen Haiyti ein Exemplar bizarrerweise sogar auf „Der Holland Job“ platzierte; mitten zwischen Gangsterrap-Testosteron-Geballer waren ihre wenigen Zeilen einer der Momente, die wirklich hängen blieben, trotz starker Konkurrenz.

Es sind natürlich primär diese bissigen Momente, befeuert von unkontrollierbaren Adlibs, die auch auf „Nightliner“ hervorstechen. An Haiyti lässt sich besonders gut nachvollziehen, was die Optionen sind, die Cloud Rap konventionellem Hip Hop anzubieten hat, wo Chancen liegen, die genutzt werden können. Die Überkreuzung funktioniert in „Geld, Taxis, Hotel“ mit schrille Synthies und fetten Bässen ebenso wie im Trance-Schabernack und Hi-Hat-Randale fusionierenden „Echte Waffen“, in dem auch inhaltlich alles durcheinander gerät. Ist das noch Wirrwarr, oder schon wieder real talk?

Noch stärker überkommt einen der Verdacht wahrhaftiger Erzählung im grenzwertigen „Crime Life“, das ebenso ein Indiz dafür liefern könnte, wie der Einstieg in das richtig große Geschäft laufen könnte. „Nightliner“ befindet sich natürlich auch in einer anderen Situation als seine Vorgänger: Es gibt bereits gewisse Erwartungshaltungen, an denen sich von nun an Haiytis Veröffentlichungen messen lassen müssen, die nicht zu sehr bedient dürfen, jedoch ebenso wenig enttäuscht werden sollen. Und andererseits: Wie soll man eine durchgedrehte Betroffenheitsnummer wie „Webcamgirl“ auf vermarktbare Strukturen reduzieren, ohne dass es wieder bei der Art von Betroffenheitsnummer landet, von der wir uns doch eigentlich vor etlichen Jahren verabschiedet haben?

Fragen, die Haiyti nicht beantworten muss, und die „Nightliner“ höchstens anreißt, nicht jedoch bearbeiten möchte. Was hier geliefert wird, sind bis auf ein paar Ausnahmen Hits, und eben das ist ja der Vorteil des Mixtape-Formats: Dinge können ausgetestet werden, ohne gleich verbindliche Allianzen mit dem Hörer einzugehen, auch was Produzenten und Features angeht. Vermutlich also genau der richtige Schritt, um kurz vor Schluss noch mal einen Notizzettel in der Deutschrapkladde zu hinterlassen. Über alles weitere sprechen wir 2017.

7,6/10

„Nightliner“ erschien am 22.11. via Katamaran Music als Download und Stream bei den gängigen Portalen.

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Sebastian
Sebastian
Aus Saarbrücken, in Münster, immer auf Testspiel, manchmal auch hier: http://mordopolus.tumblr.com/

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