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Album der Woche: Destroy Degenhardt – Das Handbuch des Giftmischers (Kritik)

„Und mit 18 Jahren bisschen überfragt sein macht dich nicht zum Outcast mit geficktem Dasein“. Die Linie ist gezogen: Da gibt es die Mittelstandskids mit „Carhartt Depression“, die im Zuge des Chimperatorcroflußes nach oben gespült wurden und in Leuten wie Drake ein Vorbild für hedonistische Traurigkeit gefunden haben, und in der anderen Ecke stehen Prezident und Degenhardt. Ersterer steuert eingangs zitierte Worte als Gast zu „Das Handbuch des Giftmischers“ bei, Letzterer ist Protagonist eben jener Platte, die trotz des Erscheinens bei Audiolith weder Elektropunk noch Zeckenrap sein möchte. Was hier stattfindet, ist ganz klar Hip Hop, und nur weil sich dort die Palette darstellbarer Emotionen erweitert hat bedeutet das ja nun keineswegs, dass Realness und Überbietermentalität ebenfalls anderen Maßstäben gewichen sind.

Dementsprechend spitzt der Düsseldorfer seine über verschiedene Underground-Releases erarbeitete Ästhetik weiter zu und pflegt eine von Drogen befeuerte Depression, deren Inszenierung einerseits mittels elaborierter Sprache und ausgefeilter Beats ein neues qualitatives Niveau erreicht hat, die andererseits jedoch unaufhaltsam am Rande ihrer zerstörerischen Konsequenz balanciert. Das vorgestellte „Destroy“ deutet es an, die Single „Eine Nacht für Niemand“ prophezeit es: „Degenhardt gibt es nicht“.

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Die Unfähigkeit zu Existieren ist Leitmotiv dieser Platte, ungewohnt direkt, aber nicht minder treffend eingefangen im autobiographischen „Puaka Starlight“: Degenhardt beschreibt hier seinen (ehemaligen) Lebensstil als Mitarbeiter einer Videothek, das paradoxe Wohlgefühl an einem eigentlich wenig wohnlichen Ort ein Zuhause gefunden zu haben, an dem sich das eigene Elend jedoch gegen das Anderer austauschen lässt. Die Unhaltbarkeit dieses paradoxen Zustands zeigt sich in den Referenzen an Alkohol und Drogen, die hier immer wieder durchsickern und an anderer Stelle maximal unglamurös zur Schau gestellt werden. Was im Gegensatz zu all den anderen Sadboys fehlt ist der Thrill, der sich hier kaum einstellen mag, alleine weil Degenhardt sich nicht aus seinem monotonen, an einen desolaten Marteria erinnernden Bariton wagt und stattdessen dicht an die untermalenden Beats schmiegt.

Federführend produziert von Hiro Ma bleiben auch diese den etablierten Trademarks treu, arbeiten gewinnbringend mit einer Vielzahl Samples und üben sich in sphärischer Schwelgerei, die den melancholischen Charakter der Geschichte wundervoll unterstreicht. Denn so richtig laut wird es auf „Das Handbuch des Geiftmischers“ selten, vielleicht in der aufgepumpten Eskapismus-Fantasie „Fuchur“, im versoffenen Slime-Cover „Zu kalt“ oder dem aufgekratzten Anti-Alle-Statement „Silke Bischoff Deluxe“, das von einem gepitchten „Wicked Game“ Sample angetrieben wird, doch selbst hier siegt am Ende die Müdigkeit, das Scheitern an den eigenen Widersprüchen.

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Einen letzten möglichen Ausweg bietet ein omnipräsentes Fantasia, eine Traumwelt, die symbolisch auf dem Cover der Platte abgebildet ist, auf der Platte jedoch wiederholt als Illusion entlarvt wird. Die Schleifen, die Degenhardt aus diesen Widersprüchen baut und in denen sich „Das Handbuch des Giftmischers“ bewegt, sind im Grunde dazu prädestiniert sich in ihrer Vorhersehbarkeit abzunutzen, hier jedoch so gut gebaut und mit einer Schärfe eingefangen, dass sie zumindest für den Moment hervorragend funktionieren.

Was das Schicksal dieser Form von Hip Hop ist, das entwirft derweil Prezident sehr gekonnt in „Carhartt Depression“: Irgendwann wird die eigens aufgebaute Identität, gerade wenn nachlässig schwarz maskiert, zur Projektionsfläche für junge Menschen, die sich in ihrem möglicherweise banalen Elend verstanden fühlen, das Ganze zu einem Lifestyle überhöhen und dann mit ihrem Idol in Kontakt treten wollen was ja nun das letzte Angebot ist, was man als Hörer eigentlich aus so viel Abweisung ziehen sollte. Doch auch diese Widersprüche gilt es auszuhalten will man nicht kapitulieren und die angedeutete Selbstzerstörung wahr machen, was hier im konkreten Fall aber ohnehin nicht interessieren muss. In seiner klassischen Attitüde funktioniert „Das Handbuch des Giftmischers“ jetzt gerade als nahezu singuläres Phänomen zwischen Throwback und Zeitgeist, das sein Versagen bereits schulterzuckend antizipiert.

„Das Handbuch des Giftmischers“ erschien am 03.11. via Audiolith auf Vinyl, CD und digital.

Sebastian
Sebastian
Aus Saarbrücken, in Münster, immer auf Testspiel, manchmal auch hier: http://mordopolus.tumblr.com/

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