StartAlbum der WocheDaughter - Not To Disappear (Kritik)

Daughter – Not To Disappear (Kritik)

Es ist kein leichtes Los, in Epigonentum hineingedrängt zu werden. Klar, zunächst ist es genehm, als „die nächsten xy“ vermarktet zu werden, aber irgendwann wünscht man sich als Band dann doch vielleicht, die eigene Identität würde auch als solche wahrgenommen werden. Als 2013 „If You Leave“, das Debüt des Trios Daughter erschien, war die Referenz nicht die Variable xy, sondern die Band The xx – sicher eines der beliebtesten Vorbilder der 10er Jahre. Nach Veröffentlichung ihres Debüts wurde es zum Trendsport unter Musikjournalisten, regelmäßig „die neuen xx“ auszulosen. Auf Daughter wollte das Prädikat allerdings schon 2013 nicht so recht zutreffen, ein Eindruck, den „Not To Disappear“ deutlich verstärkt.

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Der starke Folk-Einschlag der ersten Platte wird hier durch vermehrt auftauchende elektronische Spielereien konterkariert – eine Entscheidung, die sich als goldrichtig erweist. „Not To Disappear“ gibt den Stücken viel Raum (meist pendelt sich die Spieldauer irgendwo um die Fünf-Minuten-Marke ein) und geht damit das Risiko ein, Griffigkeit zu verlieren. Im Austausch graben sich Daughters immer tiefer in die Melancholie ein, die schon seit ihrer Gründung integraler Bestandteil ihrer Musik ist. Doch was die Band aus einem Song rausholen kann, das zeigen sie hier schon im Auftakt: „New Ways“ lebt von seinen sich langsam entfaltenden Strukturen, den aus dem Nebel aufsteigenden Gitarrenmelodien, die kathartisch wirken, ohne ins Plakative abzurutschen.

Denn: Ein gewisses Understatement haben Daughter sich trotz des Hypes beibehalten. Für jeden Moment, in dem sich Elena Toras Stimme erhebt, gibt es eben auch zurückhaltende Gitarren und Tonnen von Hall auf dem Gesang. Schubladen wie Shoegaze darf man gerne aufziehen, werden dem Album in seiner Gänze aber nicht gerecht. Oberstes Merkmal ist die Verquickung unverbindlicher Indie-Pop-Leichtigkeit mit schwerer Melancholie, wie sie beispielhaft im Song „Alone/With You“ durchexerziert wird. Der Refrain ist von schwebender Leichtigkeit geprägt, die jedoch nur leidlich den negativen, bitteren Text kaschiert. Schwer zu toppen dürfte in Sachen niederschmetternder Lyrics jedoch vor allem die Single „Doing The Right Thing“ sein: Tora verhandelt hier aus der Ich-Perspektive eine Demenzerkrankung, mitsamt aller Konsequenzen.

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In diesen Momenten erreicht „Not To Disappear“ eine Qualität, die vielen luftigen Konkurrenten einfach abgeht. Daughter stellen ihre Ästhetik nur selten über das Songwriting, trumpfen mit Ideen auf, wo andere nur Phrasen dreschen. Dazu gehört es auch, das Klangbild mal aufzubrechen und einen knackigen, stark mit rhythmischen Elementen arbeitenden Song wie „No Care“ als heimliches Highlight unbemerkt in der zweiten Hälfte der Platte zu verstecken. Effektheischende Schritte haben Daughters ohnehin nicht nötig, denn ihre aktuelle Musik kann ganz für sich überzeugen. „Not To Disappear“ ist eine äußerst packende Auseinandersetzung mit den Themen Einsamkeit, Verlust und Verschwinden geworden, die gerade durch ihre Finten und sorgfältige Ausarbeitung überzeugen kann.

8/10

„Not To Disappear“ erscheint am 15.01. via 4AD auf Platte, CD und digital.

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Sebastian
Sebastian
Aus Saarbrücken, in Münster, immer auf Testspiel, manchmal auch hier: http://mordopolus.tumblr.com/

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