StartAlbum der WocheHuman Abfall - Form & Zweck (Kritik)

Human Abfall – Form & Zweck (Kritik)

„Nenn es kein Comeback“- ja, okay. Aber wieso sollte ich denn überhaupt, bei Album Nummer zwei in zwei Jahren? Zack, da schnappt die Falle zu, man ist Human Abfall schon auf den Leim gegangen. Wer fragt, was der Scheiß soll und nach welchen Regeln hier gespielt wird, der verliert. Flávio Bacon, Vorsteher der Band, ist das Äquivalent zu einem sadistischen Polizisten, der seine Rolle innerhalb der Konstellation „guter Cop – böser Cop“ heillos überzeichnet. Vorwurf um Vorwurf wird auf den Tisch gepackt, und so sehr man sich windet, Bacon gelingt es immer wieder, in ätzender Manier das Ziel ins Visier zu nehmen. Und das primäre Ziel ist nun mal der Hörer.

Den trockenen, teils theatralischen Sprechgesang kennen wir vor allem von Schorsch Kamerun, und auch wie die Musiker im Hintergrund Postpunk und weitere Zitate zu sprödem Rock verwursten, erinnert an Die Goldenen Zitronen rund um „Lenin“. Die Stoßrichtungen ähneln sich, doch Human Abfall kommen aus einer anderen Generation. Wo Kamerun heute auch mal ein nostalgisches Buch veröffentlicht, da schießen Bacon und Band ein zweites Album aus der Hüfte, das Menschen, die das Wort Stuttgart in den Mund nehmen, brutal daran ersticken lässt; mich selbst eingeschlossen.

Also die Uhren schnell wieder auf null stellen, eingangs erwähnte Zeile, die das Album eröffnet, vergessen, die Vergleiche im Halfter stecken lassen und versuchen, den Finten bestmöglich auszuweichen. „Form & Zweck“ begeht eben nicht den Fehler, nur Pegidademonstranten und Verschwörungstheoretiker auf die schwarze Liste zu setzen, sondern uns alle, die „Knietief im Falschen“ stecken. In der knappen Zeit des gleichnamigen Openers legen Human Abfall den Ton des Albums fest: Bacon wechselt zwischen heiligem Ernst und bellendem Zynismus, wiederholt wiederholt wenige Zeilen und erzeugt gemeinsam mit der stolpernden Musik einen sinistren Mahlstrom, der dem ohnehin angeschlagenen Postpunk noch den letzten Rest Lebensfreude raubt.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Der Rotz, der dem Vorgänger „Tanztee von unten“ aus der Nase triefte, ist mittlerweile auch abgewischt. Spielten Human Abfall hier auch mal treibend und in vergleichsweise ausgelassener Stimmung, kennt „Form & Zweck“ nur polierte Oberflächen und weite Klangräume, die das Gefühl von Verlorenheit simulieren. Die Surf-Gitarren, die im Laufe der Platte vereinzelt aufpoppen, verkommen in diesem Ambiente zum bitteren Zitat, die Melodien, die ein Song wie „Bequeme Stellung“ in sicht trägt, laden in ihrer Ratlosigkeit höchstens zum schmerzverzerrten Heulen ein.

Die Worte zu diesen Melodien haben mit dem Dadaismus, der überall als Einfluß ausgemacht wird, eher peripher zu tun. Stattdessen spinnt Bacon ein Netz aus Assoziationen, das irgendwie versucht, der Lage Herr zu werden und dabei den Spagat zwischen Ambivalenz und Eindeutigkeit wagt. Der Ton ist anklagend, die Adressaten reichen über Dresden und die BRD hinaus: „Neu leben“ spricht zwar über Terrorismus, aber auch darüber, was Globalisierung in letzter Konsequenz bedeuten müsste: uneingeschränkte Solidarität. „Q: Wo Ist Franz? A: Im Dschihad.“(jetzt nicht schwach werden und Devo ins Spiel bringen!) verknüpft derweil die Menschenverachtung des IS mit der alltäglichen, westlichen Menschenverachtung, die eben nicht bei Germany’s Next Topmodel endet.

Niemand kann sich hier aus der Affäre ziehen. Wer sich gerne abgrenzt von Wutbürgern, von Massenmördern und dem brutalistischen Kapitalismus, wer sich zurückzieht in bequeme Stellungen, in Befindlichkeiten und Lebensplanungen, den zerren Human Abfall aus seinem Versteck und übergießen ihn mit all der Scheiße, die so sicher aus dem eigenen Revier ausgegrenzt wurde. „Form & Zweck“ wird seinem Titel gerecht, die Kritik kommt von innen und schließt alle ein, verzichtet auf Zeigefinger, Parolen und endlos kodierte Ratespiele. Selbst wenn Bacon am Ende den Gigantenschwan herbeisehnt, kippt die Platte nicht ins Groteske, sondern nimmt eine konsequent finster-messianische Wendung: Das Ende naht, und wir haben alle verschissen.

8,6/10

„Form & Zweck“ erscheint am 29.04. via Sounds Of Subterrania auf Platte, CD und digital.

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von Spotify zu laden.

Inhalt laden

Sebastian
Sebastian
Aus Saarbrücken, in Münster, immer auf Testspiel, manchmal auch hier: http://mordopolus.tumblr.com/

UNTERSTÜTZEN

Liebe Leser*innen und Fans, wir brauchen Eure Unterstützung! Hier erfahrt Ihr, wie Ihr uns unterstützen könnt.

FOLGT UNS

Beliebt