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„Sollen die sagen, es ist Pop“ – Danger Dan im Interview

Danger Dan (Foto: Jaro Suffner)

Danger Dan ploppt auf meinem Bildschirm auf und lächelt mir mit Zigarette in der Hand zu. Rapmusik hat er zwar gegen das Klavier getauscht, aber dem Rauchen ist der „normale Aschenbecherjunge“ treu geblieben. Seitdem wir beide uns das letzte mal vor einer Kneipe auf St.Pauli unterhalten haben ist einiges passiert. Danger Dan hat die Corona-Zeit nicht nur dazu genutzt Oliver Pocher zu dissen und unserer Corona-Gefühlslage eine Ballade zu schreiben, er hat auch endlich das lang ersehnte Solo-Klavieralbum geschrieben. „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ heißt das Ding. Und wie seine Band ironisch zugeben muss, hat er damit quasi als der Jan Delay der Antilopen Gang den Sprung aus der Rapnische ins ZDF-Abendprogramm geschafft. Ein Gespräch über Ausbeutungsverhältnisse, eine Jahre alte Kränkung und das Verlorengehen.

Über drei Jahre ist es her, dass wir das letzte Mal gesprochen haben…

Ich erinnere mich. Damals haben wir über Liebe diskutiert.

Starten wir mit einer harmlosen Frage: Wie geht es dir in diesem ganzen Trubel als charmanter Popstar?

Von wegen harmlose Frage: Die Frage ‘Wie geht es dir’ ist eine der schwersten, die man eigentlich stellen kann (lacht). Das kann man rückblickend erst sagen. Ich finde es tatsächlich anstrengend zur Zeit. Die Ereignisdichte ist gerade sehr hoch. Außerdem habe ich mir in den Finger geschnitten (Daniel hält seine Wunde in die Kamera).

Scheiße…

Weil ich mir ein Brötchen schmieren wollte. Mit einem Brotmesser in den Finger geschnitten. Das meiste, was mich sonst so stresst, ist positiver Stress. Die meisten Sachen sind einfach geil. 

In den Sozialen Netzwerken scherzen deine Bandkollegen Koljah und Panik Panzer schon mit einer Parallele zu DJ Mad und Denyo. Bleibst du als der Jan Delay in dieser Konstellation trotzdem Antilope? 

Antilope für immer. Aber ich würde mir wünschen, dass Panik Panzer wirklich mal so gut scratchen lernt wie DJ Mad (lacht).

Schleppst du die beiden mit auf deine Tour?

Mal gucken, ob die überhaupt Bock drauf haben. Für das Ding in Hamburg sind die extra gekommen. Aber ich kann es denen nicht antun, sie durch die ganze Bundesrepublik zu schleppen, damit die dann zwei Lieder mit mir spielen. Mal schauen, ob sie zu dem einen oder anderen Termin trotzdem kommen. Würde ich mich natürlich freuen. 

Schon bei der ersten Singleauskopplung “Lauf davon” fühlte ich mich stark erinnert an einen frühen Song von dir, “Klavierspieler”, den du 2008 veröffentlicht hast. Schon dort hast du gesagt, dass dich Hip Hop nicht ausfüllt und du lieber umgebracht werden würdest, als in einer Welt ohne Klavier zu leben. Warum mussten wir über 10 Jahre auf ein Klavieralbum von dir warten? 

Der Hauptgrund ist, dass Klavierspielen richtig schwer ist, dass man das voll üben muss und dass ich das nicht so gut kann. Bis ich es schaffe, zehn Lieder zu schreiben, die nicht alle gleich klingen, ist das einfach sauviel Arbeit. Jetzt hatte ich zum Glück mal ein Jahr lang keine Termine. Da hatte ich Zeit, das zu machen. Aber man sieht das schon bei der Antilopen Gang. Die Lieder, die ich schreibe, klingen alle gleich. (Danger Dan singt den Refrain von “Pizza” und “Enkeltrick”: ‘Ooooh, ich glaube fest daran’, ‘Ooooh, das ist der Enkeltrick’.) Das war eigentlich echt der Hauptgrund, warum es über zehn Jahre gedauert hat. Es war sauviel Arbeit für mich, elf Lieder zu schreiben und auf Klavier zu spielen, die nicht alle gleich klingen. Kein Bock zu üben halt (lacht).

In deiner Henning-May-Parodie “Mit Doc Martens am Klavier” von 2017 singst du bereits davon, dass du dich für deine Verspieler am Klavier schämst. Jetzt hast du schon zwei größere Fernsehauftritte hinter dir. Hast du immer noch Angst, dich zu verspielen?

Ich glaube ja, dass man das von mir erwartet. Das ist das Gute. Wenn Igor Levit spielt und er spielt die ganze Zeit schief und krumm, dann ist das scheiße. Aber wenn ich das mache, der normale Aschenbecher Junge – voll kein Problem. Da kann ich nur mit ein bisschen Scham darüber hinweg lachen. Ich glaube aber, genau das wird das Gute an der Tour, dass es eben nicht perfekt wird. 

Wobei ein gemeinsamer Auftritt mit Igor Levit ja schon ziemlich nah dran an perfekt ist…

Ja, das ist richtig (lacht).

Wie kam es dazu?

Ich hatte ihn eh schon einmal angeschrieben, weil ich Bock hatte, etwas mit ihm zusammen zu machen. Die Böhmermann-Redaktion ist dann auch noch einmal auf die Idee gekommen. Persönlich kannte ich ihn vorher gar nicht. Der ist aber stabil im Internet. (lacht) Ich dachte mir, vielleicht hat er Bock und findet das Lied geil. Er hatte Bock und fand das Lied geil und hat sofort zugesagt. Das ist ein unheimlich lieber Kerl. Unabhängig davon, dass er ein stabiler Mann im Internet ist und sehr gut Klavier spielt, ist er auch einfach voll der Sympath. 

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Dein Song “Nudeln und Klopapier” kam während der ersten Lockdown-Tristesse heraus. Wie kommst du mittlerweile mit Corona zurecht, und konntest du immerhin deinen Spaziergang durch den Berliner Zoo nachholen?

Den konnte ich nachholen. Ich war im Zoo und im Tierpark. Mehrfach. Zum Glück geht das wieder. Mittlerweile hasse ich aber Spazierengehen. Ich bin jetzt ein Jahr spazieren gegangen, ich will jetzt in die Kneipe zurück (lacht). Und zu der Frage, wie es mir damit geht: Das spielt gar keine große Rolle. Die Frage ist ja, wie geht es denen, die mit Schläuchen in der Lunge im Intensivbett liegen und sich nicht von ihren Verwandten verabschieden können, weil die ne super ansteckende Krankheit haben und dann dort ersticken. Es würde nur eine einzige Person ausreichen, die dort im Krankenhaus liegt und dieses Schicksal erleiden muss, damit wir alle mal schön die Fresse halten und nicht darüber motzen, dass wir nicht auf Tour gehen können. Das ist aber nicht nur eine Person, sondern das sind Hunderte, Tausende. Die Frage finde ich viel, viel spannender, denn danach sollten wir ausrichten, wie wir handeln. Und nicht danach, dass wir jetzt Langeweile haben und zu Hause hängen. 

Und trotzdem ist Corona ein Schlag ins Gesicht für alle, die Kunst machen. Normalerweise lebst du davon, Konzerte zu spielen. 

Natürlich ist das doof. Und auch dort würde ich mir wünschen, dass wir in einer Gesellschaft leben, die fair damit umgehen würde. Ich selber habe bislang noch gar keine Corona-Hilfe bekommen. Also nix. Das ist schon ein bisschen schade. Und gleichzeitig gibt es glaube ich so viele Corona-Gewinner, denen man auch ein bisschen Geld abnehmen und korrekt umverteilen könnte. Das ist aber ein Problem, das über die Corona-Krise hinaus geht. Das ist eine Welt, die ist furchtbar ungerecht. Die ist nicht ungerechter als vor Corona, wir haben auch davor schon in einer Klassengesellschaft gelebt. Was wir machen müssen, ist Ausbeutungverhältnisse abschaffen. 

Wie gerne würde ich jetzt noch länger mit dir über Ausbeutungsverhältnisse sprechen, aber so viel Zeit bleibt uns nicht. Du bist jetzt in kurzer Zeit zwei Mal im ZDF aufgetreten, bist in namhaften Playlists bei Spotify, sämtliche Kulturprominenz hat über dich getwittert. Eine bessere Promophase kann es eigentlich nicht geben. Gerade in Zeiten von Corona und aufstrebender Querdenker*innen-Szene triffst du mit deiner Musik einen Nerv. Bist du dann auch Corona-Gewinner?

(lacht) Corona-Gewinner fände ich jetzt irgendwie scheiße. Da habe ich so noch nie drüber nachgedacht. Das wäre so, als ob man Missstände aufzählt und alle möglichen Leute sagen ‘voll geil’ und ich ziehe daraus Kapital. Man kann das theoretisch so sehen. Aber ich weigere mich total. Das fände ich irgendwie echt scheiße.

Voll der Downer…

Ja voll der Downer. Das ist so, als ob ich davon profitiere, dass es ein Rassismusproblem in der Polizei gibt, und ich spreche das an und alle sagen ‘Ja!’ und feiern mich dafür. Und ich bin dann jetzt der Polizei-Rassismus-Gewinner. Das sehe ich nicht ein. 

Das Hamburger Abendblatt hat vor ein paar Tagen geschrieben “Danger Dan und die Kunstfreiheit – Pop wird politischer”. Würdest du dem zustimmen, dass du Popmusik machst? Und würdest du es auch unterschreiben, dass Pop politischer wird?

Joa, von mir aus ist das Pop. Ich weiß auch nicht genau, was das für Musik ist. Es ist auf jeden Fall kein Rap, es ist kein Metal. Finde ich in Ordnung, wenn die diese Schublade brauchen. Sollen die sagen, es ist Pop. Pop finde ich jetzt auch nicht schlimmer als Liedermacher oder so. Ob Pop jetzt politischer wird, da würde ich mir noch mal die anderen Popkünstler anhören wollen, bevor ich das so unterschreibe (lacht). Das wage ich zu bezweifeln. 

Trotzdem haben auf einmal die unterschiedlichsten Menschen eine Meinung zu deiner Musik. Leute, die vorher von dir nichts kannten, nehmen dich in einem ganz anderen Licht wahr als treue Fans. Die Rapnische hast du gegen das Klavier getauscht. Wie ist das für dich? Fühlst du dich wie ein neuer Danger Dan? 

(lacht) …ist auf jeden Fall einerseits total cool, aber an manchen Stellen auch befremdlich. Wenn jetzt ein Karl Lauterbach twittert, er findet mein Lied total gut, halte ich davon nichts. Funfact: Heute hat sich einfach Oliver Pocher im Netz positiv auf mein Lied bezogen. Das ist derselbe Typ, dem wir letztes Jahr noch einen richtig miesen Disstrack geschrieben haben, weil das einfach ein misogynes Schwein ist. Der hat überhaupt nicht verstanden scheinbar, dass der Typ, der einen miesen Disstrack gegen ihn geschrieben hat, der gleiche ist, der da mit Igor Levit Klavier gespielt hat. Ich glaube, der hat das überhaupt nicht zusammen gekriegt (lacht). Keine Ahnung, was da schief gelaufen ist. Das ist schon auch alles sehr obskur, was da so passiert. 

Als Hamburger muss ich diese Frage stellen: Warum hast du Thees Uhlmann eine Absage erteilt?

Der wollte ja, dass ich auf dieses Grand Hotel van Cleef – Label zu ihm komme, weil er mich ausbeuten wollte (lacht). Die Kleine macht jetzt Kasse, hat er gedacht. Und dann habe ich gedacht: ‘Ne du, ich gehe schön zum Ehrenlabel Antilopen Geldwäsche’, auch aus folgendem Grund: Die Antilopen Gang überlebt Corona finanziell nicht, wenn wir das nicht alles in unseren eigenen Strukturen behalten. Koljah und Panik Panzer würden auch lieber auf Tour gehen und rappen als Platten rausbringen. Die sind jetzt Plattenbosse geworden und sitzen nur noch am Handy und am Computer, schreiben E-Mails und haben super viel Arbeit. Die würden auch lieber spielen. Das geht nicht, und darum brauchen die auch einen Job. Wir als Gang machen das halt als Gang, wie eine Gang das so macht. Die Gang ist halt mehr als Grand Hotel van Cleef, so schmeichelhaft ich das Angebot auch fand. 

Der Song “Das schreckliche Buch” zeichnet ein Bild der eigentlichen Absurdität der Querfront und Querdenker*innenszene. Wann können wir dieses ‘schreckliche’ Buch wieder zuklappen?

Boah, das ist ne gute Frage. Ich bin wahrlich kein Hellseher. Mein Gefühl ist, es wird schwierig, das überhaupt wieder zuzuklappen. Das ist ja auch kein deutsches Phänomen. Man könnte ein ähnliches Lied schreiben über das Ende der Präsidentschaft von Donald Trump in Washington, wo dieser komische Stier, dieser nackte Büffelmann, auftaucht zusammen mit solchen selbsterfundenen Paramilitärs. Das ist ein internationales Phänomen. Die sind über die Treppen hinaus gekommen im Gegensatz zu den Deutschen. Ich fürchte, der Wahn hat Hochkonjunktur, und das wird auch noch anhalten. Ich habe ein bisschen Angst davor, dass das Buch nicht mehr zugeht. 

Die Querdenker*innen-Szene überlebt also auch das Ende der Corona-Maßnahmen?

Die kriechen in ihre Löcher zurück und kommen dann zum nächsten Anlass wieder heraus. Das sind dieselben Charaktere, mit großer personeller Überschneidung, die damals bei den sogenannten Montagsdemos und Friedensmahnwachen dabei waren, wo irgendwie alle Angst hatten, dass die NATO gegen Russland in den Krieg zieht. Die haben sich mit Putin solidarisiert und auch dort schon Verschwörungs-Quatsch verbreitet. Wenn die Corona-Beschränkungen vorbei sind, kann ich mir vorstellen, dass die sich einen anderen Aufhänger für ihren Wahnsinn suchen. Das Problem ist, dass dieser Wahnsinn auch eine gewisse Tradition hat. Das sind ja keine neuen Ideen. Wenn die sagen, dass dort ein geheimer Bund existiert, der die Welt mit einer Krankheit vergiftet hat, dann knüpft das eins zu eins an solche Legenden an wie ‘Juden vergiften unseren Brunnen’. Oder das, was damals noch war ‘Die Juden machen Kindsmord Rituale und trinken deren Blut’, das ist eins zu eins diese Qanon-Adrenochrom-Geschichte. Das sind mittlerweile jahrhundertealte Wahnvorstellungen, die immer im neuen Gewand daherkommen. Und diese komischen Querdenker-Vollidioten werden, wenn Corona vorbei ist, auch wieder neue Anlässe finden, um wieder mit denselben Stereotypen und dem selben Antisemitismus auf die Straße zu gehen. 

Mit dem Song “Ingloria Victoria” begleichst du eine alte Rechnung mit deiner ehemaligen Schule, der Viktoriaschule Aachen, aber auch mit dem Bildungssystem an sich. Glaubst du, dass die aktuellen Schüler*innen deinen Song hören werden?

Ich weiß, dass die den hören werden. Gerade auf dieser Schule wird dieses Lied natürlich gehört. Ich freue mich total darüber, weil ich Rachegelüste habe. Ich würde sagen, wir sind quitt. Das Lied ist ja noch nicht draussen, aber ich bin jetzt schon furchtbar schadenfroh. Diese Schule wird sich nicht nochmal mit… mir anlegen. Ich wollte schon gerade von mir in der dritten Person sprechen (lacht). Diese Schule wird sich nicht mehr mit Danger Dan anlegen! 

Die Wunschvorstellung, eine alte Rechnung mit der eigenen Schule zu begleichen, es einem Lehrer oder einer Lehrerin oder meinetwegen auch dem Schulsystem zurückzuzahlen, das ist vermutlich eine der großen unerfüllten Rachefantasien in der Gesellschaft. Nach all den Jahren wird diese Fantasie für dich Realität. Kannst du mir das Gefühl noch mal beschreiben?

Das ist sehr, sehr gut (lacht). Ne, also es spricht ja auch irgendwie von einer Verletzung. Ich werde bald 38 Jahre alt, und es liegt über die Hälfte meines Lebens zurück. Diese Misserfolgserfahrung und dieser defizitäre Blick auf mich haben mich sehr stark an mir zweifeln lassen. Es spricht Bände, wenn ich jetzt immer noch so emotional reagiere. Das Problem war einfach, die haben wirklich in ihrem Wikipedia-Artikel geschrieben ‘bekannter Schüler dieser Schule’ und wollten, glaube ich, ein bisschen cool sein. Ein anderer war übrigens Julien Bam, der steht dort auch drin. Aber keine Ahnung, vielleicht hat es auch nur ein Schüler dort hinein editiert, das muss jetzt nicht strategisch gewesen sein. Aber ich konnte es nicht so unkommentiert dort stehen lassen, weil das in meiner Biografie doch ein wichtiger Moment war und nicht einfach. Ich mache darüber immer Witze, aber wirklich von der Schule zu fliegen und ein Jahr lang immer gesagt zu bekommen: ‘Wir hätten dich nicht nehmen sollen, weil du ein Schmuddelkind bist’, das fühlt sich nicht gut an. (Anm. der Redaktion: Mittlerweile ist Danger Dan in dem Wikipedia-Eintrag der Viktoriaschule (Aachen) nicht mehr aufgeführt. Zum Zeitpunkt des Interviews stand Daniel „Danger Dan“ Pongratz jedoch noch in einer Liste direkt unter Julien Bam.) 

Hattest du dir überlegt, Julien Bam als Feature mit auf den Song zu holen?

Ja, ich habe darüber nachgedacht. Aber nur so ganz kurz.  

Der Song “Trotzdem” hat mich an ein anderes Lied von dir, “Seit du gesagt hast”, erinnert. Jetzt sind wir endlich wieder bei der Liebe angekommen. 

Das finde ich sehr gut.

Erst singst du davon, wieder mit dir selbst klarzukommen, seitdem du so geliebt wirst, wie du bist. In deinem neuen Song beschreibst du, dass sich deine Freundin für dich entschieden hat, obwohl sich immer irgendwo jemand findet, der in irgendetwas besser ist als du.  Ist die Liebe für dich auch immer ein Ort, an dem die eigene Persönlichkeit bestätigt wird? Gibt die Liebe dir das Gefühl, zu genügen? 

Ich finde Liebe tatsächlich, und das hatten wir beim letzten Mal ja auch schon, einer der wenigen Momente, die so als Rückzugsort funktionieren, an dem solche Verwertungslogiken aufhören, wo Liebe auch jede Vernunft besiegt. Und nicht nur die Vernunft, sondern auch Unvernunft wie ständige Verwertungslogik. In der Literatur und in der Lyrik, seit hunderten von Jahren, überall auf der Welt wird es immer wieder neu abgehandelt. Romeo und Julia, zwei verfeindete Familien, da spielt jede Vernunft gegen, aber irgendwie finden sie trotzdem zueinander. Ich finde, Liebe ist ein schöner Moment, weil er den Kapitalismus aussetzt, weil die Liebe stärker ist als die rationale Entscheidung, Das und Das und Das hätte Vorteile, oder ich könnte mit dem Menschen intim noch mehr erreichen, oder ich sollte jemanden suchen, der so und so perfekt ist. Aber so funktioniert Liebe halt nicht. 

Manchmal habe ich leider doch den Eindruck, dass solche Verwertungslogiken in der gesellschaftlichen Realität bis in die Liebe hineinreichen. 

Ja, du hast natürlich auch Recht. Und da gibt es auch Untersuchungen dazu, wer eigentlich wen heiratet und wo die sich kennenlernen. Natürlich stimmt das nicht, was ich hier gerade sage, aber jetzt hör auf, mir das kaputt zu machen (lacht). Du kannst dich jetzt entscheiden zwischen einem Kartentrick, der wirklich Magie ist und einem Sortieralgorithmus. Beides ist das gleiche, aber du darfst dich entscheiden, was du nimmst. Also ich nehme den magischen Kartentrick. Das hilft mir in meinem Leben viel mehr als der Sortieralgorithmus (lacht). 

Bei dem Song “Lauf davon” dringt eine starke autobiografische Komponente durch, wenn ich mich nicht täusche. Wieder einmal besingst du die Flucht vor dem vordeterminierten Lebenslauf. Du erzählst zum Beispiel, dass du nach Bordeaux abgehauen bist und dir dort gezeigt wurde, wie man alte Autos aufknackt. Wie kam Lou Reed dabei ins Spiel?

Das Lied ist tatsächlich eine autobiografische Erzählung. Was nicht stimmt ist, dass ich mich in einer Werbeagentur beworben habe, sondern ich war da auch schon Musiker und habe in so Bands gespielt. Eigentlich war mein Leben auch in Ordnung und es gab auch nichts, wovor man jetzt hätte weglaufen müssen, was jetzt scheiße war, sondern es war normal. Ich habe aber gespürt, dass das nicht alles ist. Ich bin nicht dort angekommen, wo ich bin, sondern eher auf dem Weg in ein bürgerliches, langweiliges Tanzmucker-Leben. Alles in mir hat sich gesträubt, bis an den Punkt, wo ich alles habe stehen und liegen lassen und weggerannt bin. Ich bin dann nach Bordeaux. Dort kannte ich tatsächlich diese Leute, und es gab auch tatsächlich dieses Lou Reed Konzert. Es war eines der letzten Konzerte, das er überhaupt gegeben hat. Ich glaube, das letzte in Europa. Wir sind dort tatsächlich auch eingebrochen, und in den Tumulten habe ich auch wirklich alle verloren. Eh schon verloren in meinem Leben, plötzlich auch noch verloren in Bordeaux. Das war irgendwie ein wichtiger Moment in meiner Biographie. Es war wichtig, mal verloren gegangen zu sein, um mich selbst wiederzufinden. Das klingt ein bisschen kitschig, aber das meine ich ernst. Mit Velvet Underground und Lou Reed habe ich gar nicht so viel wichtige Erfahrung, aber Lou Reed verkörpert schon einen Typen, der auf ein bürgerliches Leben sehr stark scheißt. Ein queerer, heroinabhängiger Lebemann, der mit diesen gesamten Konventionen gebrochen hat. Da drin finde ich den schon super inspirierend. Auch abgesehen vom Musikalischen finde ich diese Figur Lou Reed in dieser Welt schon sehr ermutigend. Man muss nicht ein langweiliges Leben leben, man kann auch Lou Reed sein. 

Und bist du Lou Reed geworden?

Ich habe so eine Kurve gedreht. Aber vielleicht war ich dort, verloren für eine Nacht, die Lou Reed Version, die ich sein konnte und von der aus ich mich auch wieder entscheiden konnte, dass so etwas wie eine Wohnung zu haben schon ganz geil ist. Das war dann doch eine freiere Entscheidung als es vorher war. Deswegen fühlt es sich jetzt nicht so schlimm an, der Spießbürger zu sein, der ich geworden bin (lacht).

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Bei unserem letzten Gespräch haben wir auch über Vandalismus, Zerstörung und eine geworfene Mülltonne gesprochen. Damals hast du mir erzählt, dass destruktive Aktionen trotzdem ein gutes Gefühl auslösen können. Auf deinem neuen Album singst du davon, dass du Sextouristen in Bangkok verprügelst. Auch hier räumst du noch im selben Zug ein, dass es keinen politischen Mehrwert hat…

Also ich sag mal so, wenn du mal in Bangkok warst und dir das mit eigenen Augen anguckst… Wir wissen alle um das Patriarchat, wir wissen alle um Zwangsprostitution, wir wissen alle um einen unglaublich unfairen Share von Währungen. In Thailand arbeitest du für zehn Euro drei Tage und in Deutschland nur eine Stunde. Das sind alles Ungerechtigkeiten, die du dort auch noch kombiniert hast mit sexueller Ausbeutung, die auf der Straße ganz unverhohlen zu sehen ist. In mir erzeugt das ein Riesengefühl von Ohnmacht. Ich kann an dem strukturellen Problem in dem Moment nichts ändern. Es bringt auch nichts, so einem Sextouristen eine zu klatschen. Aber wenn der auch noch frech wird, dann finde ich das völlig in Ordnung. Ich habe überhaupt kein moralisches Problem damit, meiner Wut dort auch destruktiv Ausdruck zu verleihen. Das macht es wirklich nicht besser, aber auch wirklich nicht schlimmer. Für mich ist es in dem Moment aber gut (lacht). Für mich ist es die Mülltonne in der Fensterscheibe. Es ist viel interessanter, sich jetzt dieses Lied mal anzugucken, wo jetzt alle Militanzdebatten führen wollen. Zur Kunstfreiheit eignet sich dieses Lied doch eigentlich viel besser. 

“Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt!” ist der Aufruf zur Militanz als letztes Mittel am Ende des Songs deiner Meinung nach die stärkste Provokation in dem Lied? 

Es gibt ganz viel Applaus für den Song bisher. Wo die Leute vielleicht aufhorchen ist, dass ich einfach so über Militanz spreche und sie nicht kategorisch ablehne, sondern sage, als letztes Mittel ist das notwendig. Ich glaube, das hat mit der Lebensrealität von ganz vielen Leuten auch tatsächlich nicht so viel zu tun, weil die sich nicht in die Menschen hineinversetzen müssen, die wirklich Angst haben, wenn sie in Magdeburg am Bahnhof umsteigen. Ich vermute, wenn man sich bisher nicht damit auseinandersetzen musste, dann hat man Glück gehabt. Aber wenn irgendwelche Attentäter in Hanau durch die Shishabar rennen und Leute abknallen, dann werden sich fast alle Menschen mit Migrationshintergrund, und das sind unglaublich viele auch in der x-ten Generation, bedroht fühlen. Die haben halt kein Sicherheitsgefühl mehr, weil sie wissen, Polizei- und Nazistrukturen haben immer wieder zusammengearbeitet.. Insbesondere in den letzten Jahren konnte man nochmal feststellen, wo eigentlich. Wo kommt denn die Munition her, wo ist denn die SEK-Munition aus diesem Hannibal-Leak, wo kommen die ganzen Adressen her von NSU 2.0? Alles von Polizei Computern abgerufen. Da hat man keine Sicherheitsgefühle mehr. Es gibt halt einen Kampf, der militant geführt wird von solchen Neonazis, den man auch nur militant beenden kann. Und wenn es die Polizei nicht macht, dann muss es halt jemand anderes machen. Viel mehr sage ich ja gar nicht. 

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Mit diesem Song hast du gegen gleich mehrere Akteure der neuen Rechten Szene ausgeteilt. Ist abgesehen von der juristischen Dimension auch Angst beim Veröffentlichen dieses Songs mit dabei gewesen? 

Kann sein. Das Ding ist, ich glaube, wenn du Jude bist und mit Kippa durch Berlin läufst, dann hast du ein Problem. Wenn du schwul bist und in Bautzen deinen Freund küsst, dann hast du ein Problem. Wenn du schwarz bist und an jedem x-beliebigen Bahnhof in Deutschland eine Zeitung liest, dann bist du in Gefahr. Dass ich mich dabei irgendwie auch einer Gefahr aussetze, war mir schon völlig klar. Aber das ist eine viel kleinere Gefahr als es die Lebensrealität ganz vieler Leute ist, die sich das halt nicht aussuchen konnten. Wenn man sich das noch mal vor Augen führt, dann finde ich nicht, dass ich jetzt großen Grund habe, zu jammern. Viel mehr habe ich Grund, so ein Lied noch zehn mal zu schreiben und noch lauter zu singen. 

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