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„Korrumpiert werde ich vor allem von mir selbst“ – Linus Volkmann im Testspiel-Interview

„In jedem Satz von Linus Volkmann steckt mindestens eine gute Idee“ steht im Klappentext einer seiner Romane. In Klammern dahinter: Walter Moers. Gut analysiert – gilt definitiv auch für sein journalistisches Schaffen!

Im gegenwärtigen Live-Programm trägt er, neben seinen schönsten Review-Punchlines, Dokumente aus der Peripherie des Business auf die Bühne. Philosophiert wird über SMS aus der Hölle („hab deine nummer vom bekannten, kannst du was über die platte von der band meines mitbewohners schreiben?“), wertkonservativen offenen Briefe tief schnaubender Punkredakteure oder die lässigen ganzseitigen Anzeigen der Anti-Alkohol-Kampagne vom Bundesminesterium für Gesundheit.

Es folgen sieben Fragen an den amtierenden „besten Musikjournalisten“ – so die Urteilssprechung des gefürchteten Rocco-Klein-Preis-Kommitees.

© Linus Volkmann

1. In einer längst versunkenen Welt hatten Musikzeitschriften die ultimative Meinungshoheit und das einzige öffentliche Echo stellte der Leserbrief dar. Gibt es Dinge aus dieser Zeit, derer Verschwinden du als bedauerlich empfindest? Und worauf kannst du gut verzichten?

Gute Frage… Also, ich muss sagen, mir kommt die digitale Zeit sehr entgegen. Ich habe über Fanzines zum Journalismus gefunden – in den 90er Jahren. Mich faszinierte damals schon der starke Rückkanal, man besprach gegenseitig die Heftchen, traf sich auf Konzerten, besuchte Leute in fremden Städten… zum Beispiel Bayern, Norddeutschland – damals noch fast fantasy! Durch das Web ist so ein Austausch dagegen zur Basis geworden – zudem ähnlich wie bei Fanzines ist es heute so, dass die Schwelle zwischen Autor/Künstler und Publikum gesenkt wurde. Jeder ist mittlerweile Sender. Das produziert wahnsinnig viel Mist, aber wenn man aufmerksam ist, kann man da mehr rausziehen als aus ganzen Jahrgängen Spiegel und Fix & Foxi zusammen. Nachteil ist natürlich, dass die Ökonomie bei Printtiteln völlig den Bach runtergegangen ist. Aber selbst das war es wert.

2. „Vinyl ist heute der Gartenzwerg für Hipster“: Du stimmst bei Fatalismus und Retterrhetorik einschlägiger „Musikliebhaber“ nicht mit ein und verdammst gegenwärtige digitale Entwicklungen zumindest nicht pauschal. Festivals verfluchst du als „Orte der ungelösten Kackfrage“ und bleibst ihnen bevorzugt fern. Ganz augenscheinlich stehst du der breitaufgestellten Musikindustrie nicht affirmativ oder opportunistisch gegenüber. War es immer einfach, seine Autonomie zu wahren? Wie engagiert gestalteten sich bisherige Korrumpierungsversuche gegen deine Person?

Als ich aus dem Musikmagazin-Game rausging, also meine Redakteursstelle kündigte, war mir gar nicht so klar, ob ich überhaupt weitermachen wollte. In der Zeit danach stellte sich für mich aber heraus, ich wollte auf jeden Fall weiter geile Bands abfeiern, aber genauso wollte ich aufzeigen, was überschätzter Mist ist. Das eine war vorher weit weniger möglich, aber erst jetzt, da ich beides nebeneinander mache, ergibt es für mich Sinn. Dieser Affirmations-Arien der Popkulturindustrie sind einfach so öde. Ich freue mich jedes Mal wieder wie bekloppt, wenn ich da mit dem Hammer kommen kann. Und irgendeinem rituell abgefrühstückten Hype-Thema eine mitgebe. Das sind ja so Themen, die eigentlich keinem wirklich was bedeuten, aber es muss ja jeden Monat kurz ein großes neues Ding ausgelobt werden. Ansonsten liebe ich auch Vinyl, bloß der Kult darum ist so unfassbar peinlich und alt. Hochwertiger Besitzerstolz ist was fürs Reihenhaus, nicht für Pop.

Ach so, und korrumpiert werde ich vor allem von mir selbst. Also ich lerne zufällig oder fahrlässig Bands kennen, die eigentlich ziemliche Scheiß-Mucke machen. Und da geht es mir dann wie vielen labilen empathischen Menschen, wenn die Künstler dann aber nett sind, dann fällt es mir schwer, sie beim nächsten Mal wieder auszuknipsen wie Nachttischlampe. Hoffe daher, ich treffe nie zum Beispiel Die Sportfreunde Stiller. Obwohl, was ich über die schon gesagt habe… falls die sich trotzdem immer noch mit mir anfreunden wollten, müsste man Mutter Theresa wieder ausbuddeln und ihr die Krone wegnehmen. Oder was man bei einer Heiligsprechung sonst so bekommt…

3. Für die Vice hast du im Rahmen der letzten TV-Total-Sendung den Artikel „Aufhören, wenn’s allen zum Hals raushängt (oder halt Jahre später)“ verfasst. Die Veröffentlichung ließ einen Shitstorm folgen, den du wiederum samt der im Filter hängengebliebenen Hate-Mails bei Kaput evaluiert hast. Geht viel Kraft dafür drauf, sich mit Personen auseinanderzusetzen, die sich von dir beleidigt und gekränkt fühlen, wenn du beispielsweise ein Luxuslärm-Album mit „Gesungene Horoskope für Unsympathen“ besprichst? Du wirst doch sicher auch mal im Real Life angesprochen oder läufst bestimmten Leuten über den Weg?

Die Frage ist verständlich. Mein Motto lautet ja „Wer viel Autofährt, wird auch oft angehupt“. Allerdings ist es nicht so schlimm, wie man vielleicht denken muss. Ich bin eher frustriert, wenn ich eine beliebte Band wie Foo Fighters disse – und dann nicht mal die hiesigen Fans empört sind. Dass das alles so harmlos geblieben ist, bis jetzt!, liegt vermutlich auch daran, dass ich größtenteils im Indie/Punk/Pop unterwegs bin. Zwar pisse ich gern auch auf Rapper, wäre ich allerdings mit meiner Attitüde echter Rap-Journalist, dann wäre ich vermutlich wirklich schon tot oder paar Zähne los.

 

Youtube-Kommentar, Kurzer Prozess (Intro Magazin)

 

4. Bei manchen Enthüllungen aus deinem aktuellen Live-Programm, wie dem ersten erotischen Ferienlager-Erlebnis mit Campino oder deinen Verdiensten als Toyboy Rihannas, stehen die Chancen auf Bestätigung von der Gegenseite eher schlecht. Woher rühren diese fiebertraumartigen Episoden im Kosmos der Musikindustrie?

Wenn man nur so schlecht gelaunten Musikjournalismus auf die Bühne tragen würde, der allen Bands sagt, wie kacke sie eigentlich sind, also das würde mir selbst nicht gefallen. Ich liebe Fiktion und vor allem hasse ich die Popindustrie ja, weil ich eine völlig überdrehte Vorstellung davon habe, wie die Musikwelt eigentlich sein könnte. Daraus schöpfe ich dann die Ideen für Texte wie „Linus Volkmann heiratet Rihanna“. Pop sollte immer auch bunt und durchgeknallt sein. Meine Meinung!

5. Intro, Musikexpress, Plastic Bomb, Kaput, etc. – du schreibst für Böhmermann, verwirklichtest dir mit dem Passions-Projekt Schinken Omi den Traum eines eigenen Lifestyle-Magazins und standest unter anderem für Arte vor der Webcam. Es gibt da noch einen musikjournalistischen Thinktank, mit dem man dich weniger in Beziehung sieht: Was für ein Verhältnis hast du zur Spex – Magazin für Popkultur?

Die Spex war für mich wahnsinnig wichtig, als für mich alles losging. Ich war fasziniert von der teilweile völlig vernagelten Akademiker-Schreibe und die Redakteure und Redakteurinnen empfand ich als Popstars. Leider kam ich Ende der 90er da nicht rein, sondern heuerte beim direkten Gegenspieler, oder besser, Herausforderer an. Dem Intro-Magazin. Zusammen mit Thomas Venker, der auch totaler Spex-Addict war, haben wir als Chefredaktion dann nach der Jahrtausendwende einfach unsere eigene, poppigere Version der Spex versucht aufzustellen.

6. „Bist du eigentlich noch Eigentümer deines Musikgeschmacks?“ heißt ein Pop-Kommentar, den du für WDR Cosmo gemacht hast. Deine Kritik gilt hier Streamingdienst-Algorithmen, die einem nur noch das zuspielen, was man schon irgendwie gut finden wird. Die Konfrontation mit Musik abseits der eigenen Komfortzone, Plaudereien über Neuveröffentlichungen oder Empfehlungen von der anderen Seite der Theke im Plattenladen bleiben deiner Ansicht nach immer stärker auf der Strecke. In besagter Kolumne findet Musikjournalismus keine Erwähnung – ist aber nicht genau die immer normaler werdende Haltung, dass dieser inzwischen obsolet sei, weil man sich über bequemere automatisierte Wege im Nebenbei „informieren“ lassen kann, das zentrale Problem?

Musikjournalismus war vor Web 2.0 noch der Gralshüter des coolen Wissens, hier fand man die Informationen und Urteile zu den Geschehnissen in der Popwelt. Durch das Netz sind diese Info- und Meinungshoheit eingebrochen. Noch zu meiner Zeit wurde das Jobprofil daher umgebaut: Der Musikjournalist sollte nun Filter sein. Also jemand, der dem mit Musik überschütteten Konsumenten Hilfe leistet: „Was könnte Dir gefallen, Bro?“ Ende der Zehner Jahre übernehmen diesen Job die Algorithmen der Streamingportale. Und ich sehe keinen Hinweis darauf, dass sich das noch mal umkehren wird. Im Gegenteil. Als Nerd, Vollzeitfan oder Pop-Genie wird man immer auch ohne solche Hilfsmittel seinen Musikhorizont erweitern, aber der Mainstream ist an diese Programme ab jetzt auf ewig verloren. Und vermutlich geht es ihm dabei aber auch nicht besser oder schlechter als denen, die vor 20 Jahren noch Spex- und Intro-Redakteuren ausgeliefert waren.

                                  

7. Harry Jeske (Musiker): Ich selbst bin auf Bühnen zuhause und besonders in den Wintermonaten leidet meine Haut unter Heizstrahlern, Tankstellengerichten und der fiesen Industrieseife in Discount-Hotels, bzw. keiner Seife in den Clubs. Was ist dein On-The-Road-Beauty-Geheimnis?

Das ist original auch meine Frage an das Tourleben. Ich habe keine Antwort, wäre viel mehr über jeden Tipp dankbar. Auch das Einschränken der Sauferei auf der Bühne und danach habe ich bis jetzt immer vertagt. Aber so mega healthy ist das bestimmt nicht.

 

Zusatzfrage: Machst du uns eine Freude mit einem exklusiven Selfie?

© Linus Volkmann

Linus Volkmann demoliert die Popkultur – Eine Leseshow

12.02.18 München – Milla Club
13.02.18 Regensburg – Ostentor Kino
14.02.18 Dresden – Scheune
15.02.18 Chemnitz – Atomino
16.02.18 Magdeburg – Moritzhof
17.02.18 Leipzig – Kupfersaal
21.02.18 Kiel – Luna Club
22.02.18 Hamburg – Hafenklang
23.02.18 Flensburg – Volksbad
24.02.18 Bremen – Kito
25.02.18 Münster – Pension Schmidt
23.03.18 CH-Zürich – m4music Festival 2018
05.04.18 Bielefeld – Bunker Ulmenwall
06.04.18 Solingen – Waldmeister
20.05.18 Beverungen – Orange Blossom Special

Julian Gerhard
Julian Gerhard
Wechselte 2013 für ein M.A.-Studium von Münster nach Bochum. Das Studium ist fertig und das Ruhrgebiet bildet den neuen Arbeits- und Lebensmittelpunkt.

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