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Jim Ward von Sparta im Interview: „Das neue Album wird nicht jedem Fan gefallen“

Jim Ward von Sparta: Ein Alternative-Rock Veteran par excellence. Foto: Ivan Pierre Aguirre

Schon krass, wie sich der Alltag im Jahr 2020 innerhalb von nur wenigen Tagen ändern kann. Erst vor kurzem habe ich mir einen Lebenstraum erfüllt und Jim Ward von Sparta interviewt. Das war Anfang März, ich durfte noch raus, hatte bei dem Hamburger Schietwetter aber auch nur mäßig Bock. Jetzt, am 10. April wünsche ich mir diese Tage zurück. Als Ausgleich hörte ich damals wie heute viel Sparta, die Indie-Lieblinge meiner Jugend. Die Band entstand nach der Auflösung der Hardcore-Legenden At the Drive-In und verzückte jeden Fan, dem The Mars Volta zu wild und experimentell war. Von der ursprünglichen Energie der Texaner Hardcoregang ging wenig bis gar nichts verloren, Sparta hatte die gleiche Wut im Bauch, die ich schon bei At the Drive-In zu schätzen gelernt habe.

2020 ist es um die Band etwas ruhiger geworden, doch heute kommt nun endlich das neue Album „Trust the River“ raus. Ich konnte es schon vorab hören, denn ich hatte ja ein Interview mit Jim fucking Ward, Sänger und Kopf von Sparta! Sweet. Unser Gespräch fand über Telefon statt, aber nicht dank Corona. Jim Ward sitzt in El Paso, Texas, und bei ihm bricht gerade die Mittagszeit an, während in Deutschland so langsam die Sonne untergeht.  Jim ist trotz drohender Corona-Krise in den USA gut drauf und immer wieder zu kleinen Scherzen aufgelegt. In lockerer Atmosphäre reden wir über das neue Album „Trust the River“, Sellout und Selbstverwirklichung und natürlich auch über den Deppen Trump, der in der Corona-Pandemie alles andere als souverän auftritt.

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Testspiel: Wie geht’s dir und wie spät ist es bei dir gerade?

Jim: Mir geht’s gut, hier ist es kurz nach 11 Uhr morgens und der ganze Tag steht noch an.

Cool, hier ist es schon 18 Uhr. Ich habe gehört, dass du heute schon zwei Interviews gegeben hast. Ich hoffe, du hast noch Lust, über das neue Sparta-Album „Trust the River“ zu reden?

Total, ich liebe das neue Album!

Seit „Threes“, eurem letzten Album, sind 14 Jahre vergangen! Was hast du in all der Zeit am meisten an Sparta vermisst?

Wahrscheinlich die Lautstärke, die ich seit Jahren nicht mehr so intensiv hatte wie mit Sparta. Vor ein paar Jahren habe ich Matt [Miller, Bassist von Sparta, Anm. d. Red.] angerufen und gesagt: Ich habe wieder Lust auf laute, krachende Musik! Er auch, deshalb haben wir eine Handvoll Shows zusammengespielt. Daraus entstanden weitere Shows und irgendwann das Album, alles baute sich nach und nach auf.

Ihr habt die Arbeit am neuen Album im Jahr 2017 begonnen. Wie verlief der Prozess? Wann war das Album fertig?

Im Mai 2019 waren wir mit allem komplett fertig. Also Aufnahme, Mischung, Mastering und so weiter. Seitdem gab es noch ein paar Feinschliffe, zum Beispiel das Artwork, aber das Album an sich ist schon etwas länger fertig. Von mir aus kann es sofort raus in die Welt, aber ich vertraue dem Label und deren Aktivitäten, das Album vorab noch weiter zu pushen. Ich gehe nicht mehr viel auf Tour oder gebe viele Interviews, ich kann den ganzen Rummel auch gerne noch etwas hinauszögern. [lacht]

Wie fühlt sich das an, eine fertige Platte für fast ein Jahr in der Schublade zu haben und der Welt sein Werk noch nicht zeigen zu können?

Ein Teil von mir möchte es natürlich sofort veröffentlichen und jedem zeigen, was wir am Start haben. Andererseits fühlt sich es sich auch cool an, eine Art Geheimnis zu haben und erstmal in Ruhe zu schauen, wie man es am besten live präsentiert. Wir haben auch unser normales Leben nebenbei laufen, ich habe zum Beispiel ein Restaurant, um das ich mich kümmern muss. 2020 soll es unser erstes „Rock Camp“ geben, wo wir jungen Mädchen und non-binären Jugendlichen die Chance geben, sich in einer Woche in fünf Bands zusammenzufinden und dann rocken wir zusammen das Camp. Ansonsten haben wir noch ein paar NGO-Sachen in El Paso, Texas, laufen. Wir sind also ständig umtriebig. [lacht]

Das klingt wirklich sehr busy! Im Gegensatz dazu hat sich die Musik von Sparta etwas beruhigt, teilweise hört man die ruhigeren Einflüsse deines Solo-Projektes Sleepercar.

Genau, es fühlt sich so an, als hätten sich meine beiden musikalischen Welten miteinander verbunden.

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Dieses Gefühl hatte ich beim Durchhören des Albums auch: Manche Tracks haben diese typische Sparta-DNA in sich, als wären sie kurz nach „Threes“ entstanden. Und dann gibt es Tracks wie „Dead End Signs“, die für Sparta-Fans eher neu und ungewöhnlich ruhig klingen.

Ja, ich war selbst in einer Art Findungsphase und habe ständig probiert, meine musikalischen Welten auf einen Nenner zu bringen. Ganz offensichtlich habe ich mich in 14 Jahren verändert [lacht], bin gewachsen und reifer geworden. Dazu kam ein Produzent wie David Garcia, der mir dabei geholfen hat, die verschiedenen Stücke zusammenzufügen und meinen Pfad zu finden.

Sind deine Bandkollegen durch eine ähnliche Entwicklung gegangen? Wie haben sie auf den veränderten Flow reagiert?

Ich habe die Musik komponiert, dann sind wir ins Studio. Vorab habe ich mein Material an die anderen geschickt, Matt hat mir ein paar von seinen Ideen geschickt, daraus entstand zum Beispiel „Empty Houses“, zu dem ich am Ende nur Lyrics beigesteuert habe. Im Studio haben wir uns einfach treiben lassen und geschaut, in welche Richtung es gehen kann. „Dead End Signs“ war eigentlich mal als ein lauter, gitarrengetriebener Song geplant. David wollte ihn dann nochmal in langsam am Klavier hören, und in dem Moment war mir klar, dass er so besser funktioniert. Ich habe einfach dem Flow vertraut, getreu dem Namen des Albums „Trust the River“. Man muss auch mal seinen Instinkten trauen, auch verstehen, dass es im Leben Hochs und Tiefs gibt. Daher entstand das Album auch in drei Tagen, weil wir uns dem Flow so hingegeben haben und vielen spontanen Impulsen gefolgt sind. Ich habe noch nie so schnell ein Album aufgenommen! [lacht]

Bei „Spirit Away“ unterstützt euch eine weibliche Sängerin, über die ich leider nichts herausfinden konnte.

Sie heißt Nicole Fargo, spielt in El Paso in der Band The Royalty und singt oft mit mir auf meinen Solo-Sachen. Als ich an dem Song saß, wusste ich sofort, dass eine weibliche Stimme darin auftauchen sollte. Es sollte eine Art Gespräch entstehen, ein Gegenpart zu meiner Stimme und meinen Worten. Also fragte ich sie, ob sie auch ihre Lyrics schreiben will und es hat keinen Tag gedauert, da schickte mir sie Vorschläge. Ich war völlig baff, wie schnell das ging! [lacht]

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Du meintest bereits, dass „Trust the River“ das am schnellste aufgenommene Album in deiner Karriere war. Wie ordnest du das Album allgemein in dein musikalisches Schaffen ein?

Ich bezeichne keines meiner Alben als „Meisterwerk“, weil ich jedes Mal direkt an neuer Musik weiterarbeiten will. Mein Lieblingspart bei Musik ist das Komponieren von neuer Musik. Mein zweitliebster Part ist auf Tour zu gehen, um live zu spielen und die Welt zu sehen. Diese beiden Dinge machen mich glücklich, wenn es nur um Musik geht. Ich schreibe nur für mich, nicht für die Fans oder gar die Kritiker. Diesmal entstand ein sehr ehrliches Album, mit dem jetzt ein neues Kapitel beginnt. Ich bin ziemlich stolz auf das Album, aber ich glaube auch, dass es nicht jedem Sparta-Fan oder Kritiker gefallen wird. Da darf jeder seine eigene Meinung haben. Diese Musik ist Teil meines Lebens. Manch einer mag eher unsere älteren Sachen und hört sich das neue Album nicht so gerne an, das ist auch okay. Aber mir war wichtig, genau das aufzunehmen, was mir momentan wichtig ist. Ich wollte nie an alte, erfolgreichere Sachen anknüpfen oder gedanklich in der Vergangenheit festhängen.

Ein Fan muss dem Künstler auch in gewisser Art erlauben, sich weiterzuentwickeln und anders zu klingen.

Ja, so was muss es geben. Ich habe nie nach einer Erfolgsformel gesucht, mit der ich Ruhm und Geld erlangen kann. Ich habe nie gedacht: Ich mag diesen Song nicht unbedingt, aber er wird vielleicht Erfolg bringen. So bin ich charakterlich nicht. Ich war in Bands, wo es viele verschiedene Meinungen gibt und letztendlich Kompromisse geschlossen wurden. Aber das möchte ich nicht mehr. Ich genieße es vielmehr, komplett frei Musik zu kreieren und das Ergebnis meinen Bandkollegen zu zeigen, um es gemeinsam fertig zu schleifen.

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Nach dem Release des neuen Album sind für Ende April ein paar US-Shows geplant.

Vielleicht. Kommt auf die aktuelle Situation an. [lacht]

Gibt es abgesehen davon weitere Pläne, z.B. Shows in Europa?

Mittlerweile bin ich kein Fan mehr davon, für lange Zeit am Stück auf Tour zu gehen. Das geht auf meine mentale Gesundheit. Aber ich will in Zukunft gerne in Schüben spielen: ein paar Tage am Stück, dann Pause. Wenn wir nach Europa kommen sollten, dann vielleicht ein paar Wochen am Stück, bevor ich wieder nach Hause kann. Für mich geht der Kreislauf – Musik schreiben, Konzerte geben – in kleineren Schritten weiter. Für mich geht es weniger um die große Kampagne und die nächste globale Tour. Ich will lieber im Moment leben und alles bewusster dosieren. Ich habe seit Jahren nicht mehr in Deutschland gespielt und ich freue mich dermaßen darauf, weil ich das Land und die Leute liebe. Für mich ist es einer der schönsten Orte auf der Welt, aber ich will dort auch meine Zeit genießen und nicht nur in Garderoben, Backstage-Räumen, Hotelzimmern oder dem Tourbus abhängen. Ich spiele lieber kleinere Touren über mehrere Tage verteilt und kann dann was von den Sehenswürdigkeiten, Restaurants und Museen vor Ort erleben. Wir versuchen gerade zusammen herauszufinden, wie wir in Zukunft am besten touren wollen. Ich bin nicht mehr am großen Rummel oder den Mühlen der Musikindustrie interessiert.

Du hast dich von einer Aussage von Patti Smith inspirieren lassen und willst zukünftig am liebsten nur in Städten oder Ländern spielen, die du auch wirklich sehen und erleben willst. Welche hast du auf dem Schirm?

Ich habe zum Beispiel einen guten Freund in Regensburg, den ich noch nie persönlich besuchen konnte. Wenn man Touren organisiert, nimmt man die größten Städte und die Venues, die am meisten Geld abwerfen – so läuft eben die Industrie. Regensburg kommt da selten vor, deswegen bin ich an diesem Konzept nicht mehr interessiert. Lieber spiele ich eine kleine, intime Show in Regensburg, verbringe Zeit mit meinen Freunden und schaue mir antike Bauten an. Ich war schon oft in Europa unterwegs, mit diversen Bands. Aber am meisten habe ich dann Hotels oder den Tourbus von innen gesehen, darauf habe ich absolut keine Lust mehr. Nicht in diesem Alter. [lacht] Da sehe ich die Parallelen zu Patti Smith. Früher war für uns die wichtigste Frage nach einer Show: Okay, wo hängen wir jetzt ab und feiern eine Party? Heutzutage lautet die Frage eher: Wollen wir zwei Tage in Hamburg abhängen und uns wirklich mal Sachen anschauen und die Kultur erleben? Aber um auf deine Frage zurückzukommen: Wir haben noch keine Pläne für Europa oder andere Länder. Ich glaube eher, dass die Promoter erstmal abwarten wollen, wie das neue Album ankommt. Das ist okay für mich, denn ich will nicht mehr Teil der großen Maschine sein, das große Geld nehmen und die riesige Tour spielen. Aber ich nutze gerne die Vorteile, die sich daraus ergeben. Wenn es für uns Sinn ergibt, ein Konzert vor 100 Leuten zu spielen, finde ich das okay. Wenn es 500 oder 1000 sind, umso besser!  Ich will einfach Shows spielen und ein Publikum vorfinden, dass Bock auf Sparta hat und nur wegen uns da ist.

Gute Einstellung! Zum Schluss würde ich gerne auf deine Vergangenheit mit At the Drive-In eingehen, falls du darüber reden möchtest?

Es ist immer die letzte Frage! [lacht]

Ich weiß ja nicht wie du reagieren wirst und will deswegen nicht das ganze Gespräch riskieren! [lachen]

Witzig ist, dass ich mich im Vorfeld mit meinen Promotern darüber unterhalten habe. Sie fragten, ob wir so ein Thema von vornherein ausschließen sollen und ich meinte: Mach dir keine Sorgen, wenn es aufkommt, wird es immer die letzte Frage sein. So ist es seit 20 Jahren! [lacht] Aber es ist okay! Manchmal braucht es lange Zeit, um Sachen zu verstehen, die das Leben mit dir macht. Daher kommt Weisheit auch mit dem Alter. Ich verstehe auch nicht, was momentan passiert, gerade wenn es emotional wird. Wenn Freundschaften oder Beziehungen wegbrechen, dann ist das hart und braucht eine Zeit, eh man das verarbeitet hat. Für mich ist es schwierig, die Fragen zu At the Drive-In zu beantworten, weil man schnell emotional werden könnte und dann Sachen sagt, die man hinterher bereut. Daran versuche ich mich zu halten. Selbst damals schon, in den Anfangstagen meiner musikalischen Karriere. Ich habe mir immer vorgenommen, keine schlechten Sachen über andere zu sagen oder irgendwie nachzutreten. Wir haben alle Familien und Freunde, die diese Interviews lesen. Mein Vater zum Beispiel hat einen Google Alert zu meinem Namen und wird davon erfahren, wenn du Scheiße über mich erzählst oder schreibst! [lacht] Der Gedanke macht mich traurig, dass mein Vater schlechte Sachen über mich lesen könnte, die andere über mich gesagt haben. Man kann mit seinen Worten sehr nachlässig umgehen. Was ich aber zu der ganzen Thematik sagen kann: Ich habe At the Drive-In mit 17 Jahren mitgegründet, die Band ist Teil meiner DNA und wird es auch immer sein. Ich liebe die Band und die Musik in alle Ewigkeit und war extrem enttäuscht und traurig, nicht bei den letzten Touraktivitäten dabei zu sein. Es war nicht meine Entscheidung, und dabei belasse ich es. Das Leben geht weiter!

Erik
Erikhttp://www.erik-kluegling.com
Musik-Enthusiast, Popkultur-Suchti, 89er Jahrgang, Vinylsammler

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