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Album der Woche: Mitski – Be The Cowboy (Kritik)

Durch ein nicht zu Ende coloriertes Artwork schaut Mitski aus der Maske heraus, den Kajal noch über dem Auge angesetzt, die Kopfbedeckung womöglich ausgewählt für eine klassische Choreographie im Schwimmbad, vielleicht auch nur ein provisorischer Schutz der Haare vor einer nicht näher definierten Gefahr. Ihr Blick gibt ebenso wenig Aufschluss: Wut, Überraschung, Verführung oder simple Ausdruckslosigkeit? Der Bruch mit der Inszenierung, die Unsicherheiten, die sich daraus ergeben und die Spielräume, die dadurch wiederum eröffnet werden, machte sich die Künstlerin bereits auf dem Vorgänger „Puberty 2“ zunutze. Wenn dort die Gitarren knarzten oder in Glitches zersprangen, konnte das immer beides sein: Ausdruck einer spontanen Eruption, dem ein konventioneller Rocksong nicht standhalten kann, oder das bewusste Deuten auf die Grenzen konventioneller Rockmusik und ihrer üblichen Inszenierungsmuster.

Diese außergewöhnlichen Gitarrenmomenten erscheinen auf „Be The Cowboy“ deutlich seltener, stattdessen setzt sich Mitski stärker mit Oberflächen auseinander. Mehrere Stücke treibt ein Discobeat an, durch „Washing Machine Heart“ poltert ein klobiger Synthesizer, „Me And My Husband“ wählt stabilen Klavierpop als Basis, um von dort aus jedoch hochgradig flexibel zu agieren. Nur weil die Sounds dieses Mal ein bisschen stärker glitzern und vereinzelt auch gefällig erscheinen, gilt gleiches nicht unbedingt für die Strukturen dahinter. Schon der Opener „Geyser“ kippt immer wieder, vom überwältigenden Synthie-Orgel-Overload über ruhigen Art-Pop in schwungvollen Folk und schließlich ein Tosen aus Streichern und Gitarren.

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Klar: Wer sich Stile so freimütig heranzitiert läuft Gefahr, sie zu Pappaufstellern zu machen, doch im Gegensatz zu mancher Kollegin hat Mitski verstanden, dass die Maxime nicht immer sein muss, zu irgendeinem Kern, egal ob kompositorisch oder lyrisch, vorzudringen. Bestandteile werden ernst genommen, in ihrer Wichtigkeit aber nicht überschätzt – Ähnliches gilt für die Texte, die erneut um die beiden Themen Identität und Intimität kreisen, ohne dabei zum Offenbarungseid zu gerinnen; ebenso wenig geht die Trennungslyrik, die in manchen Stücken durchschimmert, in üblichem Schmachten unter. „A Pearl“ platziert seine titelgebende Metapher etwa bewusst im Ungenauen – ob sie sich überhaupt auf eine amouröse Beziehung bezieht, bleibt unkar. Gerade in dieser Mehrdeutigkeit bleibt erfreulich viel Platz für uns als Publikum, um uns einzurichten mit unseren eigenen Befindlichkeiten, direkt neben den pointierten Zeilen, wie sie etwa im tanzbaren „Why Didn’t You Stop Me“ trügerische Erinnerungen einfangen.

Auch dieses alte Klischee macht sich Mitski gefügig: Unter den Oberflächen ihrer melodieseligen Songs lauern häufig Einsamkeit, Entfremdung, Ratlosigkeit. „Why Didn’t You Stop Me“ und „Nobody“, beide mit leichtfüßigem Discobeat ausgestattet, erzählen von gescheiterter Kontaktaufnahme, ohne dabei aber lediglich auf die Reibung zwischen Text und Klang zu setzen. Gerade „Nobody“ bastelt aus einer verträumt vor sich hersingenden Protagonistin eine Eskapismusfantasie, die im Text widerhallt: „My God, I’m so lonely/So I open the window/To hear sounds of people“. Die Welt soll in den Privatraum herein, am Ende bleibt jene Isolation, die der Titel „Be The Cowboy“ freilich gleich wieder auf eine klassisch-amerikanische Pose zuspitzen muss.

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Analog findet sich die Künstlerin am Ende des Videos zu „Nobody“ in einer Kulisse wieder, die nach allerlei surrealistischen Zerwürfnissen die gesamte gebaute Welt als Illusion enttarnt. Was dahinter steht bleibt so unklar wie vor zwei Jahren, als Mitski im Clip zu „Your Best American Girl“ zunächst fit für den Dreh gemacht wurde, dann nicht in die zu drehende Liebesszene passte, sich stattdessen in rebellischen Rockposen übte und am Ende das Set ins Ungewisse verließ. Diese Ebenenbrüche lassen ratlos zurück, doch dieser Effekt fungiert zu keiner Zeit als Ausrede für minderwertiges Songwriting oder andere Einfallslosigkeiten. Im Gegenteil: Die Songs passen hier durch die Bank, egal, ob sie sich an Disco versuchen, die Sängerin über ein dissonantes Klavier streifen lassen („A Horse Named Cold Air“) oder am Ende in Richtung Melancholie schwofen („Two Slow Dancers“).

Die Ebenenbrüche sind vielmehr ein Qualitätsmerkmal und integraler Bestandteil, gerade auf diesem Album, das so exzessiv das Scheitern von Kommunikation thematisiert, aber auch von einer Künstlerin stammt, deren Privatleben in den vergangenen Monaten deutlich öfter als bisher von ihrer Existenz als Popmusikerin beeinflusst wurde. So wenig sich dort eine Grenze ziehen lässt, so wenig intakt sind die Grenzen auf „Be The Cowboy“, zwischen Figuren, Stilen, Produzenten und Rezipienten.

„Be The Cowboy“ erscheint am 17.08. via Dead Oceans auf Platte, CD und digital. Credit Titelbild: Bao Ngo.

Weil alles diesem Album so großartig ist, sind wir übrigens besonders froh, Mitskis 2018er Tour präsentieren zu dürfen, die sich aus folgenden Terminen zusammensetzt:

01.10.2018 Köln – Gebäude 9
04.10.2018 Berlin – Musik & Frieden (Schwarzes Zimmer)
06.10.2018 Hamburg – Uebel & Gefährlich

Sebastian
Sebastian
Aus Saarbrücken, in Münster, immer auf Testspiel, manchmal auch hier: http://mordopolus.tumblr.com/

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