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Album der Woche: Alt-J – Relaxer (Kritik)

Steile These: Wer angesichts von „Relaxer“ etwas von Mumford & Sons brabbelt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren. Meist geht dieser Vergleich mit einem erhobenen Zeigefinger einher, der kurz zuvor noch auf „Pleader“, den Closer des dritten Alt-J Albums deutete, ganz so, als sei das hier gebotene pastorale Ambiente eine unangenehm langweilige Eingemeindung der dynamischen Elemente, die das bisherige Schaffen der Briten auszeichneten. Dabei steht vollkommen außer Frage, dass „Relaxer“ das Gegenteil einer Abflachung des zuvor Dargebrachten geworden ist: Dazu schert sich das Material viel zu wenig um Fan-Erwartungen und Einheitlichkeit.

Anders hätten Alt-J die vor ihnen liegende Aufgabe im Grunde auch gar nicht lösen können, denn tatsächlich drohte nach ihrem zweiten Album „This Is All Yours“ eine leichte Banalisierung ihres Sounds. Was das Debüt noch ungestüm und frisch, mit einer merkwürdigen Vorliebe für Zwischenspiele und einer hippen Sentimentalität angestoßen hatte, wollte der Nachfolger ausformulieren, perfektionieren, und selbst wenn es für sich genommen ein tolles Album war stellte es doch die Frage, wohin dies denn nun alles führen sollte? Alt-J antworteten mit spanischen Gitarren, Stillstand und ausgeprägter Momenthaftigkeit, die dann doch nicht jedem gefallen wollte.

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„3WW“ offenbart dabei im Grunde fast alles, was Alt-J auf ihrem dritten Album unternehmen: Das Stück tastet sich langsam heran, gönnt sich sehr ausladende Passagen, arbeitet zugleich mit field recordings und wartet mit einem starken Moment in einer ohnehin unheimlich gut platzierten Gaststrophe von Wolf Alice Sängerin Ellie Rowsell auf: Dort vertonen Alt-J einen Zettel, den ihnen ihre Freundinnen hinterlassen haben, indem die Band besagte Freundinnen den notierten Inhalt („Girls From The Pool Say Hi“) reinszenieren lässt als tatsächliches Hi, das an einem Pool ausgesprochen wurde. Und das inmitten eines Stücks, dessen Text von Sexparties auf Tour zu handeln scheint.

Nun ließen sich die field recordings, das Situative und all der andere konzeptuelle Quatsch natürlich auch als schönes Gedankenexperiment abtun und eine direkte Verbindung zur Grandezza des Closers ziehen, gäbe es nicht dazwischen noch zahlreiche andere Songs, die die Dinge so ganz anders angehen, als es die beiden Rahmenstücke handhaben. Da ist etwa das fiese, kleine „Deadcrush“, das sich nicht zwischen digitalem Geglitche und altmodischem Drone entscheiden kann und am Ende als finsteres Beat-Monster die Dramaturgie endgültig zu Klump haut. Am ehesten gelingt das Klassisch-Kompakte noch „In Cold Blood“, das mit nervösen Gitarren, einer „La-La-La-La“ Bridge und ratternden Drums aufwartet, am Ende dann aber doch von großen Bläsern zerschossen wird.

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Das groß Gedachte und das Kaputte halten sich auf „Relaxer“ ungefähr die Waage, spiegeln sich aber in Extrempunkten wider und schließen auch das schleppend-stille „Last Year“ nicht aus, ein spartanisches Duett mit Maricka Hackmann, bei dem im letzten Drittel lediglich kurz ein Fagott nach dem Rechten sieht, das war’s, mehr gibt es nicht. Selbst wenn diese Stücke nicht direkt wehtun, nichts zerbrechen, so zeigen sie doch in ihrer Heterogenität untereinander deutliche Brüche auf, die Alt-J früher kaschiert hätten. Hier hört man die Suche deutlich, auch an Unternehmungen wie den zwanzig Akustikgitarren, die man parallel einspielen ließ, um dem alten Gassenhauer „House Of The Rising Sun“ noch ein paar neue Facetten abzugewinnen.

Und ja, tatsächlich, es gelingt ihnen, so wie es ihnen auch gelingt, am Ende in „Pleader“ ihren Gruppengesang um einen Knabenchor und eine Kirchenorgel, natürlich vor Ort eingespielt, zu ergänzen. Bescheidenheit gibt es hier nicht, und wer damit nicht zurechtkommt, der soll sich an dem verhinderten Garagenrocker „Hit Me Like That Snare“ vollends die Zähne ausbeißen. „Relaxer“ zeigt Alt-J nicht länger als notorische Leisetreter mit Hang zur Frickelei, sondern lässt das Trio in verschiedene Rollen schlüpfen: Mal kumpelig-unisono singend, mal als abgewetzte Rockbande, mal als digitalisierter Alptraum, aber immer konsequent nach den Brüchen suchend und dabei eben so gar nicht nach Middle-Of-The-Road klingend. Natürlich darf man den alten Platten hinterhertrauern, das übergeordnete Konzept der neuen Songs (Stichwort: nostalgischer Blick auf ein 90er-Playstation-Spiel) anzweifeln und das alles irgendwie abgeschmackt finden, aber es ist eben keine Alibi-Entwicklung, für die man Banjos gegen zahme E-Gitarren tauscht oder sich Avicii ins Studio einlädt und hofft, das alles gut geht. Stattdessen ist es ein Weg, der Alt-J fit für die zweite Phase ihrer Karriere macht, und damit die einzig richtige Entscheidung, die die Briten treffen konnten.

„Relaxer“ erscheint am 02.06. via PIAS auf Platte, CD und digital.

„Relaxer“ Albumstream

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Sebastian
Sebastian
Aus Saarbrücken, in Münster, immer auf Testspiel, manchmal auch hier: http://mordopolus.tumblr.com/

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