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Album der Woche: Vince Staples – Big Fish Theory (Kritik)

„This is for my future baby mama/Hope your skin is black as midnight“.

Wie immer munkelten viele aufgeregt als klar wurde, dass einer der großen Rap-Hoffnungsträger unserer Zeit eine Kurskorrektur vornehmen würde. 2015 hatte Vince Staples Debüt-Album nach ersten Gehversuchen im Umfeld der Odd Future Gang als pessimistischer Gegenpol zu Kendrick Lamars selbstbewusstem, geschichtsversessenen „To Pimp A Butterfly“ fungiert, eine Melange aus zynischen Texten, minimalistisch-synthetischen Beats und einer zermürbenden Spielzeit von 60 Minuten. Klar, einen Hit warf diese Versuchsanordnung nicht ab, doch die Kritik jubilierte und Staples galt als etablierte Stimme einer Generation.

Und nun also „Big Fish Theory“: 12 Songs, 36 Minuten, technoide Produktionen, die mit dem Terminus „Rave“ liebäugeln, und eine Lead-Single, die groovt, einen erreichten Status reflektiert und mit einer Juicy J Hook aufwartet. Zugegeben, eine Konstellation, die nicht unbedingt „Avantgarde“ schreit.

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Das Narrativ war dann auch schnell festgeklopft: Staples will sein Stück vom Kuchen abhaben, ist in der Schickeria angekommen und bedient ein Muster, das zu den Klassikern der Hip Hop Geschichte zählt. Der Rapper reiht sich damit nicht nur in eine bestimmte Riege ein, er spricht sich auch ganz direkt einen bestimmten Status zu. Ganz daneben trifft diese Lesart sicher nicht, doch sie verkürzt stark, was das Album tatsächlich liefert. „Big Fish Theory“ ist keine rein selbstreferentielle, abgeflachte, auf Hit-getrimmte Arbeit geworden, sondern vielmehr eine wichtige Modifikation, die das Private und Politische zeitgemäß engführt.

Dabei ist es egal, ob eine weiße, drogensüchtige Engländerin von der Öffentlichkeit in ihrem Niedergang begafft wird (nachzuhören im Interlude-artigen „Alyssa Interlude“) oder die bloße Existenz des afroamerikanischen Körpers die Staatsgewalt zu Waffenhandlungen provoziert, Staples setzt diese Themen zueinander in Beziehung und wählt prägnante Bilder, ohne die komplexen Fragestellungen unter Wert zu verkaufen. Ausweglosigkeit spielt dabei noch immer eine große Rolle, zieht sich vom Titel über den Opener „Crabs In A Bucket“ bis zum großartig leiernden „Samo“.

Musikalisch geht das durchaus nach vorne, ist aber mehr als eine verspätete Anbiederung an das zu Beginn der Dekade terrorisierende Rave-Pop-Revival geworden. Stattdessen versammelt die Platte eine ganze Reihe unterschiedlicher Produzenten, die hervorragend ineinandergreifen und verschiedene Facetten zwischen Detroit, Chicago, London und Atlanta abdecken. Trap-Drums treffen da bisweilen auf desolate Warp-Synthesizer, während Ty Dolla $ign im finalen „Rain Come Down“ noch mal seine House-Revival-Nummer abziehen darf.

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Per se ist das schon keine schlechte Sache, vor allem eröffnet Staples sich mit diesen Produktionen jedoch neue Felder, die über eine Reproduktion der eigenen Komfortzone hinausreichen. Inhaltlich funktioniert das besonders gut im zynisch-tristen „Party People“, dessen eingängiger Beat eine perfekte Vorlage für die leblosen Animationsversuche des Refrains liefert, während die Instrumentals im Mittelteil den Flow der Protagonisten vor ganz andere Herausforderungen stellen. Hervor ragt vor allem die SOPHIE/Flume Koproduktion „Yeah Right“, auf der Kendrick Lamar als einer der wenigen hier präsentierten Gäste einen entscheidenden Akzent setzen darf.

Lohnend ist alleine der Kontrast zwischen den Herangehensweisen der beiden Rapper: Während Lamar in den Kung-Fu-Kenny-Modus verfällt und den Beat mit unterschiedlichen Flows bearbeitet, wischt Staples unbeeindruckt die vorliegende Sperrigkeit mit einem Vortrag weg, der sich derzeit am ehesten mit Earl Sweatshirts gelangweilter Souveränität vergleichen lässt. Möglicherweise liegt es auch an dieser Qualität, dass sonstige Gäste des Kalibers Bon Iver und Damon Albarn schlicht im dichten Klangbild der Platte untergehen – es tut einfach keine Not, diese 36 Minuten mit weiteren Stimmen anzureichern.

Eine Ausnahme bildet Kilo Kish, deren ruhiger, aber eben in richtigem Maß sanfter Gesang einen passenden Gegenpol zu Staples garstigem Minimalismus setzt. Auch das sorgt dafür, dass „Big Fish Theory“ keineswegs flach ausfällt, sondern im Gegenteil komplex und fortschrittlich ausgefallen ist. Die vieldiskutierte Afrofuturismus-Anmaßung („We making future music. It’s Afro-futurism. This is my Afro-futurism. There’s no other kind.“) kommt eben deswegen so häufig zum Vorschein, weil sie so passend ist: Staples verhandelt hier sein Leben als Afroamerikaner, ohne in musikalischen oder textlichen Klischees zu verharren. Das macht bisweilen Spaß, ist jedoch keinesfalls eine Partyplatte, sondern eine stringtente Kollektion vor-, seit- und rückwärtsdenkender Stücke, die Verzweiflung, Selbstbewusstsein und das Leben des Einzelnen in der Gesellschaft so pointiert zusammenbringen, wie es eingans erwähntes Zitat verrät.

„Big Fish Theory“ erschien am 23.06. via Def Jam auf CD und digital.

Sebastian
Sebastian
Aus Saarbrücken, in Münster, immer auf Testspiel, manchmal auch hier: http://mordopolus.tumblr.com/

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