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Oliver Polak Interview

„Deutschland ist grundsätzlich humorbehindert“

Marc: In einem Interview mit Dir habe ich gelesen, dass Schwäche und Verletzlichkeit den Comedians in Deutschland fehlt.

Ja, es sind hier immer diese Pseudo-Sunnyboys. Ich glaube, die sind gar nicht so „sunny“, aber die wirken immer so. Und ich finde das interessant, wenn man sich viele Comedians oder Figuren anguckt, auch Woody Allen. Ich meine, das lebt ja von dem Gebrochenen, von dem Widersprüchlichen. Oder auch bei, weiß ich jetzt nicht, fällt mir jetzt gerade nicht so ein Beispiel ein, aber die sind alle immer nur geil drauf und fragen auch, ob alle anderen geil drauf sind, und das sind erstmal die ersten 5 Minuten. „Hey, seid ihr geil drauf? Ey, Mensch, geil.“

Marc: Warum, glaubst du, ist das so?

Gestern ist auch ein Standup-Comedian aufgetreten. Auf jeden Fall ein supernetter Typ, ja, aber da kamen nicht viele Reaktionen im Publikum, und nach 10 Minuten, da ist er echt ein bisschen verhungert. Aber dann denke ich mir auch: „Ey, Alter, reflektiert ihr selber nicht mehr, wer ihr seid? Euer Material?“ Und nach 10 Minuten wusste er nicht mehr weiter: „Ey, Hamburg, seid ihr überhaupt noch da? Macht doch mal ein bisschen Krach.“ Dann kam er so animateurmäßig und dann denkst du: „Uhh.“

Marc: Aber warum, glaubst du, ist das so? Ist das einfach, weil das Publikum das so will? Oder-

Ja, ich glaube, dass Deutschland grundsätzlich humorbehindert ist. Und da sind die Comedians zum großen Teil selbst schuld. Aber auch zu einem weiterem großen Teil dieses Mainstream-Publikum, die das dann halt genauso wollen. Ich finde ja, dass Musiker manchmal die Comedians sind. Ein großen Stück Singen und Spielen und noch nebenbei den Job des Komikers mitmachen. Wie Deichkind, wie Farin Urlaub, Bela B. oder, wo waren wir gerade noch mal, irgendjemand hat das gerade irgendwo erzählt, oder Erobique (Olli: Studio Braun vielleicht noch.) oder auch vielleicht ein Olli Schulz. Die machen alle eigentlich den Job des Komikers. Also den gediegenen Humor, wo wir jetzt sagen: „Ey, das ist irgendwie komisch“, Fraktus oder was weiß ich, weil das wirklich auch komisch ist. Oder auch Deichkind, die Texte, und alles. Oder auch die Ärzte. Und, ja, es ist einfach alles oft nicht komisch. Und das ist jetzt nicht so, dass man da sagen kann: „Ja, aber es ist doch Geschmackssache.“ Nein, finde ich eben nicht. Also wer ernsthaft sagt, ja, Bülent Ceylan ist der lustigste Komiker auf diesem Planeten, der hat, glaube ich, grundsätzlich echt ein Problem. Also, ich glaube auch, bei Bülent Ceylan ist der Erfolg, also wenn da nicht Comedy drüberstehen würde, dann wüsste ich gar nicht, dass es Comedy ist. Weil, ich glaube, bei dem ist es so, dass da der Großteil der Leute, die da hingehen, schon zufrieden genug sind, dass sie Geld zahlen, um einen Türken zu sehen und nichts aufs Maul kriegen. Das war voll, das Event heute und er hat mir nichts aufs Maul gegeben.

Marc: Auf der anderen Seite finde ist mein Facebook Stream voller emotionaler Kalendersprüche. Man sollte meinen, die Menschen wären auch für eine etwas tiefere oder auch eine traurige, eine verletzliche Komik sensibel. Sind sie ja dann aber vielleicht am Ende überhaupt nicht.

Ja, diese Kalendersprüche immer.

Marc: Ja, und das ist eben alles so sehr emotional.

Und dann denke ich aber, was ist denn das für eine Fabrik, da irgendwie unter der Erde, wo Schimpansen sitzen und sich diese Kalendersprüche mit dem Bleistift ausdenken? Aber ich weiß nicht, ich habe das in einem Gag, den ich in meiner Show bringe. Der beschreibt das, was du gerade erzählt hast, in zwei Sätzen. Die geilsten Leute sind so, die posten: „Ich liebe mein Leben.“ Dann guckst du dir die Fotos durch und denkst dir: „Warum?“ Also das ist ein bisschen so- Aber verstehst du, das ist.. also jetzt, ich will mich jetzt nicht selber erklären, das würde ich eh auch rausstreichen aus dem Interview. Aber das, ich glaube eben, so ein Gag, der ist in erster Linie komisch. Aber wie du jetzt siehst, da ist ja noch ein kompletter Unterbau. Da sind ja manchmal auch beobachtende Gedanken, philosophische Gedanken, und das fehlt halt den meisten, glaube ich. Es geht den Leuten oft nur darum, irgendwie: „Äh, ich muss jetzt lustig sein, ich muss jetzt-“ Aber ich finde, es geht ja erstmal um die Gedanken und die Beobachtungen, das, was man da so erzählen will. Ich hatte jetzt z. B. einen neuen Gedanken, auch für mein neues Material, wo ich sagte, die Leute haben ja immer Angst zu sterben, die haben ja Angst vor dem Tod immer. Also nicht die Angst vorm Sterben, aber dass sie alleine sind, wenn sie sterben. Das ist ja auch so, wenn einer im Krankenhaus liegt, dann heißt es immer: „Ey, einer muss bei ihm sein, er darf nicht alleine sein.“ Und dann habe ich so gedacht, ich hätte viel mehr Angst, dass, wenn ich sterbe, dass ich nicht noch einmal alleine bin. Weil, stell dir mal vor, du weißt, du hast nur noch ein paar Stunden zu leben. Ich meine, du willst doch nur noch einmal richtig geil onanieren. Weißt du, was ich meine? Und stattdessen stehen deine Kinder und deine Frau weinend am Bett und du denkst: „Ey, Alter, einmal noch High Five“, und es geht nicht. Oder wenn der Priester kommt, für die letzte Ölung. Hoffentlich vergisst er die Pulle Öl am Bett.

Ich finde auch, dass die Gesellschaft immer kaputter wird, also wirklich kaputt. Werte, das gibt es nicht mehr und was interessant ist, auch jetzt mit der Comedy, die Leute sagen zu mir immer: „Das ist aber hart, was du sagst.“ Die Leute sind viel härter, finde ich. In dem, wie sie sich auch verhalten. Und wenn du dann mal einfach mal noch einen draufsetzt, um denen auch zu sagen: „Hey, na, ey.“ Dann sind sie schockiert, die haben überhaupt gar kein Gefühl mehr, was sie selber tun, und Selbstreflexion ist auf jeden Fall vorbei.

Olli: Ich muss da tatsächlich gerade an eine Szene aus deinem Buch denken, die mich auch so ein bisschen wach gerüttelt hat. Da beschreibst du die Leute, die etwas dagegen haben, wenn man das N-Wort sagt, aber im Kopf dann trotz dessen gedacht wird, dass der Farbige einen beklaut.

Ja, die sagen: „‚Neger‘ darf man ja nicht mehr sagen, aber ich glaube, die klauen alle.“

Olli: Ja, genau. Die Fassade ist irgendwie scheinheilig, aber im Kopf ist es eigentlich total schräg.

Wir hatten da gestern auch so einem Taxifahrer, mit dem ich mich darüber unterhalten habe. Es ist einfach total, auffällig in der Gesellschaft, wenn du auf Burger-King- oder auf McDonalds-Toiletten gehst, dass da eben 95 Prozent Schwarze arbeiten. Oder wenn ich bei Jim Block Essen war, dann ist der Schwarze nicht der Koch, sondern der Schwarze ist der, der die Tabletts einsammelt. Es gibt ja immer noch einfach fast diese Vorurteile und da schreibe ich ja auch im Buch drüber, dass dieser Dave Davies, dieser schwarze Comedian, der den Toilettenmann macht.Wenn der in England oder Amerika so auftreten würde, dann würden den andere Comedians verprügeln und auch die Zuschauer. So der dürfte der nicht auftreten, das ist für mich purer, blanker Rassismus.

Olli: Seid ihr beiden nicht bei Serdars 25jährigem Bühnenjubiläum zusammen aufgetreten?

Ja, da war der auch, der ist auch privat ein supernetter Typ. Nicht um das zu verwechseln, aber ich finde, grundsätzlich ist das komplett falsch. Das ist ja degradierend und denunzierend. Das hat für mich nicht irgendwie“¦ die Leute sitzen da und beklatschen den Toiletten-Bimbo, der ihre Kacke wegkratzt. Da gibt es für mich auch keine doppelte Ebene.

Olli: Aber das Problem ist dann eher das Publikum und nicht er.

Nein, beides! Du hast ja auch eine Verantwortung als Künstler und du könntest es ja auch schlau machen. Und die Frage ist, warum er sich überhaupt als Toilettenmann verkleidet. Er steht ja anscheinend nicht zu sich und versteckt sich dahinter. Und das ist es ja eigentlich, der macht sich klein und versteckt sich dahinter, was auf ihn eben projiziert wird. Die Leute haben so ein Bild im Kopf, und genau das gibt er denen ja, genau das bedient er, er zerstört das ja nicht, in keiner Form. Er könnte es doch machen, einfach auf die Bühne gehen und einfach, ey, einfach normal sein. Das hat Serdar Somuncu ja mal gesagt: „Die Leute wollen deutsch sein. Was ist das? Vor ’33? Zwischen ’33 und ’45? Oder nach ’45? Und wenn es nach 45 ist, dann muss man sich damit abfinden, dass das schon multikulturell ist.“ Und nur, um das auch irgendwie klar zu machen, mir geht es da überhaupt gar nicht darum – das ist auch sehr klar in dem Buch – Leute zu dissen oder zu beleidigen. Sondern ich erkläre dann, wie jetzt gerade, warum. Da geht es eher um eben die, was die machen und wie verantwortungslos das ist. Deswegen ist Serdar auch geil, ich würde auch nicht sagen, dass Serdar klassische Comedy macht. Aber wenn du guckst, der hat jahrelang „Mein Kampf“ gelesen, ist in Schulen gegangen und hat die Leute mit Sachen wirklich konfrontiert, so das es unangenehm wurde. Und dann stell mal den schwarzen Toilettenmann daneben.

Olli: Ja, Serdar trifft schon ganz gut die Themen und-

Er ist jetzt auch nicht Gott oder was weiß ich, aber ich finde grundsätzlich den Ansatz, den er hat, dass er eben Dinge umdreht, umkehrt, hinterfragt und Leute auch in unangenehme Situationen bringt, das finde ich gut. Er fordert sie halt raus und bringt sie dazu, selbst nachzudenken. Oft habe ich es so erlebt, wenn ich in seinen Shows war.

Olli: Ich habe ihn Ende letzten Jahres gesehen und da habe ich ein ähnliches Gefühl gehabt. Teilweise ist man echt betroffen von den Sachen, die man da hört. Kann man so sagen. (Oliver Polak: Ja.) Aber der geht ja auch ganz-

Wo hast du ihn gesehen?

Olli: In Bremen. Da hat er sich auch noch schön drüber lustig gemacht, dass die Hamburger nach Bremen kommen müssen. Und da meinte er am Ende auch dann: „Nächstes Jahr sind wir in Hamburg. Dann müsst ihr dahin.“

Er ist ja in der Sporthalle nächstes Jahr (2015 – A. d. R.).

Olli: Als du hier eingecheckt hast und ins Hotelzimmer gegangen bist, hast du hinter den Duschvorhang geschaut?

Nein, nein (lacht) weil es so eine Glasdusche ist, wo so eine Plexiglaswand ist, da musste ich nicht gucken, aber ich-

Olli: Machst du es denn noch?

Selten, also es kommt wirklich immer auf die Orte an. Ich war jetzt in Klagenfurt, und da war ich so paranoid, weil mir dann, mein Tourbegleiter kurz vorher gesagt hat: „Ey, das ist einer der größten Reptilienzoos direkt neben dem Hotel.“ Und ich dachte: „Argh, wenn hier irgendwo ein Gecko rumspringt dann oder eine Schlange, da gucke ich schon noch mal kurz nach.“ Aber eigentlich nicht, es kommt aber auch immer auf die Hotels an. Manchmal hat man eines – das muss man sagen, das hier ist jetzt ein relativ Gutes – aber manchmal z. B. zuletzt in Österreich, oder Feldkirch, Innsbruck, Klagenfurt, Graz. Da hat man manchmal Hotels, wo du denkst: „Ja, da kommt gleich noch so ein alter Österreicher Nazi aus dem Kleiderschrank raus“.

Marc: Ich muss noch die Frage stellen, was mit Sunny ist? Kannst du die Frage überhaupt noch hören?

Ja, aber die Geschichte endet für die Öffentlichkeit in dem Buch.

Olli: Mach mal kurz das Tonbandgerät aus und dann stelle ich noch mal die Frage. (Gelächter.)

„Der jüdische Patient“ – LIVE 2015:

31.01 Haßbergen
02.02 Frankfurt
04.02 Zürich
23.02 Duisburg
24.02 Düsseldorf
25.02.Mannheim

Fotos: Gerald von Foris
Interview: Oliver Eichhof und Marc Ehrich
Marc
Marchttps://www.testspiel.de
Marc hat Testspiel.de ins Leben gerufen und teilt hier seit 2005 seine Leidenschaft für Musik und das Internet.

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