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Morrissey und wie er die Welt sieht. Oder ein Smiths Fan versteht seinen alten Helden nicht mehr.

Morrissey (Screenshot YouTube)

„Punctured bicycle on a hillside desolate/ will nature make a man of me yet?“ Morrissey, Meister der Melancholie. Als Morrissey Anfang der achtziger Jahre Pop-Songs voller Witz, Intellekt und niederschmetternder Traurigkeit schrieb, veränderte er damit die in glitzernder Bedeutungslosigkeit verharrende Populärmusik. „Yes we may be hidden by rags/ but we“™ve something they“™ll never have“. Und ebenso veränderte er die Leben der jungen Leidenden, deren sexuellen Ängsten, deren Kontemplation über unerwiderte Liebe und das Außenseiterdasein inmitten der Spießbürger, er seine knödelige und doch wunderschöne Stimme verlieh.

„For there are brighter sides to life/ And I should know because I’ve seen them/ But not very often.“ Die Faszination, die Morrissey einst ausübte stammte einerseits von seiner Fähigkeit als Pop-Lyriker. Er verstand es in der Einfachheit der Form die der Pop-Song diktiert, Welten von klarer Schönheit zu eröffnen. Das waren Welten vom Manchester der Arbeiterklasse, von Spaziergängen auf Friedhöfen, von verlorener Liebesmüh und immer wieder von der Einsamkeit. Zugleich war er von Anfang an ein genialer Kurator der eigenen Ikonographie. Morrissey verstand 1983 was Pop-Theoretiker Diedrich Diedrichsen 30 Jahre später so zusammenfasst:

„Pop-Musiker sind also die, die von sich selbst sprechen, sich selbst meinen und dafür dennoch all die Formen verwenden, die das Abendland für die Fiktion, für Fiktionen aller Art reserviert hat.“

Von den Oscar Wilde Zitaten über das angebliche Zölibat hin zu den Blumensträußen die der Sänger sich bei Konzerten zwischen Hosenbund und Taille klemmte, jedes Wort, jedes Bild des jungen Patrick Steven Morrissey war Teil einer Geschichte. Und jede Textzeile konnte wiederum als Teil dieser Geschichte, als Teil des Mythos Morrissey gelesen werden.

List of the Lost Buchcover

Vor einem Jahr hat Morrissey seinen ersten Roman veröffentlicht. List of the Lost, ein schöner Titel für ein schreckliches Buch. Die Geschichte ist so wirr erzählt, dass es trotz der gerade mal knapp 120 Seiten schwer fällt eine prägnante Inhaltsangabe zu verfassen. Es geht um vier Staffelläufer an einem Bostoner College in den siebziger Jahren. Die vier jungen Männer töten einen Dämon, der ihnen in Gestalt eines Obdachlosen erscheint und werden zur Strafe verflucht. In Final Destination Manier fällt einer nach dem anderen dem Fluch zum Opfer. Nebenbei wird noch ein Kindsmord aufgedeckt (Ein Motiv, das Morrissey in Suffer Little Children schon einmal besser verarbeitet hat) und eine eher ulkige als romantische Liebesgeschichte nimmt ihren Lauf.

Die Geschichte scheint den Autor genauso wenig zu interessieren wie den Leser. Das Geschichtchen, das man auf zehn Seiten hätte erzählen können, dient Morrissey in erster Linie als Rechtfertigung uns seine Sicht der Welt darzulegen. Auf Fleischesser, Polizisten, Politiker und so ziemlich jeden, den auch nur die geringste Brise von Autorität umweht, richten sich die unkonzentrierten Tiraden, die einen großen Teil des Buches ausmachen.
Im Gegensatz zum Songtext ist der Roman kein Puzzleteil in einem mythologischen Geflecht aus Bild, Musik, Persona und Performanz. Das scheint Morrissey aber nicht verstanden zu haben. List of the Lost ist eine Orgie der Selbstdarstellung. Es gibt hier eigentlich keine Geschehnisse und keine Charaktere. Es gibt nur Morrissey und immer wieder Morrissey.

In seinem ersten Prosawerk hat das mit der Selbstdarstellung noch ganz gut funktioniert. Hier ging es schließlich auch um den Sänger. Ja, Autobiography war oft ermüdend. Doch die fragmentarische Erzählweise hatte hier noch etwas erfrischendes. Morrissey ging seine Biographie nicht als lineare Anordnung von Ereignissen sondern als Bewusstseinsstrom an. Das wirkte oft ähnlich ziellos wie bei List of the Lost. Aber es machte Sinn. Es gab dem Leser das Gefühl dem Autor im Akt des Erinnerns in Echtzeit zu folgen. In seinem Roman dagegen, zerstört die pompöse Präsenz des Erzählers die Geschichte die er erzählen will.

Morrissey ist also kein guter Geschichtenerzähler. Geschenkt. Was das Buch für mich, der durch die Smiths für die englische Sprache sensibilisiert wurde, so enttäuschend macht, ist sein verkümmertes Sprachverständnis. Mäandernd und schwurbelnd müht sich Morrissey durch sein Nebensatzmassaker. Der Autor verwechselt komplexe Syntax mit Cleverness und Wortschatz mit sprachlicher Gewandtheit. Gelegentlich nimmt die linguistische Prahlerei solch absurde Züge an, dass es schon wieder unterhaltsam ist:

„In the church of secret service known as the abattoir this is exactly what humans excitedly do to beautiful bodies of animals who were also crafted in care by some divine creationist, yet at the human hand the animals are whacked and hacked into chopped meat whilst gazing up at their protector with disbelief and pleading for a mercy not familiar to the human spirit, ground and round into hash or stew for the Big Mac pleasure of fat podge children whose candidature for roly-poly vicious porkiness makes their plungingly plump parents laugh out loudly, as little junior blubber-guts orders yet another Superburger with tub-of-guts determination to stuff death into round bellies, and such kids come to resemble their parents as ten pound of shit in a five-pound bag.“

Wer hier, wie ich, beim ersten Lesen den Überblick verloren hat, dem sei gesagt: Ja, das ist ein einziger Satz. Und ja, das Gefühl, dass hier jemand den Thesaurus durch den Schredder gezogen und wahllos wieder zusammensetzt hat ist einvernehmlich. Was in diesem Satz neben Morrisseys eigenartigem Sprachverständnis durchscheint, ist, dass er die Welt inzwischen in erster Line durch ein Prisma von Spott und Hass betrachtet.

Wer die Texte von Morrissey über die Jahrzehnte hinweg verfolgt hat, erkennt einen stetigen Verfall, weg von der erhabenen Traurigkeit der Smiths Alben, hin zur Verbitterung der Soloalben. Doch auch in der Verbitterung gab es noch Momente von großer Schönheit. Sein mit vor Verzweiflung zitternder Stimme vorgetragenes „And if you don“™t know this, then what do you know?“ in Life is a Pigsty ist einer der herzreissensten Momente aus Morrisseys Oeuvre. Viel verheerender ist, dass Morrissey über die Jahre seinen charmanten Witz verloren hat. Als Morrissey in Miserable Lie seine Geliebte beim Fremdgehen beobachtete, beschrieb er das so, „A smile lights up her stupid face and well it would/ I lost my faith in womanhood“. Das kann zugleich als genuine Formulierung der Verbissenheit des Versetzten und als lakonischer Kommentar auf ebendiese verstanden werden. Dass der Pope of Mope in seinen Texten die Stimme des Leidens immer wieder humoristisch bricht, rettete Ihn vor dem Kitsch und vor der verbitterten Ernsthaftigkeit.

In diesen Tagen aber schreibt Morrissey Texte wie Kick the Bride down the Isle, wo es zum Beispiel lautet,

„Kick the bride down the aisle
And treasure the day
I know so much more than I’m willing to say
She just wants a slave
To break his back in pursuit of a living wage
So that she can laze and graze
For the rest of her days“

Witzig will Morrissey also immer noch sein, doch der Feinsinn und der Charme sowie jeglicher Anspruch an Lyrik sind ihm abhanden gekommen. List of the Lost ist der monumentale Beweis dafür.

Kann man also als Smiths-Fan noch hoffen, dass Mozzer uns noch einmal überrascht und zu alter Größe zurück findet? Die Chancen stehen schlecht. Denn Morrissey scheint nichts mehr zu sagen zu haben. Die Ideen die er in List of the Lost in einem masturbatorischen Sprachexzess umhüllt sind größtenteils abgedroschen und einfallslos. Einmal fragt er rhetorisch, warum man als Sport-Boxer gefeiert wird und für die Straßenprügelei inhaftiert. Er stell diese Frage in den Raum als wäre es unmöglich sie zu beantworten; als würde sie die Grundfeste der gesellschaftlichen Ordnung unterminieren. Was bleibt wenn man hinter die Sprachakrobatik blickt ist pubertäres Unbehagen. Und doch will ich meinen alten Helden nicht ganz aufgeben. „My Childhood is streets upon streets upon streets upon streets. Streets to define you and streets to confine you, with no sign of motorway, freeway or highway“. Das ist der erste Satz aus Morrisseys Autobiographie und der Beweis dafür, dass in Morrissey ein Schriftsteller steckt, der immer dann zum Vorschein kommt wenn er sich auf seine Wurzeln als Lyriker beruft.

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