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Album der Woche: The Tidal Sleep – Be Water (Kritik)

Eine Akustikgitarre gibt nicht selten Anlass zu berechtiger Sorge, gerade wenn sie auf dem Album einer Band aus dem tendenziell turbulenteren Rocksektor im fortgeschrittenen Entwicklungsstadium auftaucht. Allzu schnell erliegen Musiker dem Trugschluss, mit derartigen Schritten in Richtung vermeintlich erwachsener Genres wie Singer/Songwriter dem Umstand vorzubeugen, dass jeder jugendliche Furor dazu verdammt ist, irgendwann zu einer nostalgischen Pose zu erstarren und sich zwangs dieser Inventarisierung der Lächerlichkeit preiszugeben. So sind es denn auch 31 schmerzhaft lange Sekunden, in denen der geneigte Fan atemstockend The Tidal Sleep lauscht, wie sie da ein paar Akkorde scheinbar ziellos in den Wind stellen, bevor ein umso stürmischerer Schwarm an Post-Rock-Gitarren ansaust um die Bedenken zu relativieren: Ja, hier gibt es noch etwas zu holen, die mittlerweile über ganz Deutschland verstreute Band hat noch – vulgo – Bock.

Besondere Vorsicht war geboten, weil sich spätestens der Vorgänger „Vorstellungskraft“, seinem deutschsprachigen Titel zum Trotz, deutlich an der 2014 gerade ausklingenden The-Wave-Bewegung rund um Bands wie Touché Amoré, La Dispute oder Title Fight orientierte. Diese hatten dem dahindarbenden Post-Hardcore kurz zuvor frische Impulse verpasst, ihn aus seiner Chart-Trance erlöst und dezentralisiert mit deutlicher Bereitschaft zum Pathos wieder zu einer Lieb-es-oder-lass-es-Geschichte gemacht. Doch wie das eben bei Leuten ist, die sich durch einen gewissen Hang zu revolutionären Statements auszeichnen: Selten ist das Erreichte genug, oft muss dringend etwas Neues geschehen, um die eigene Relevanz nachhaltig zu sichern.

Und so begab es sich, dass nicht wenige der eben genannten Bands ihre dritten Alben nutzten, um sich in bizarrer Einheitlichkeit Richtung Shoegaze und/oder Post Rock zu verabschieden, nicht immer mit überzeugendem Ergebnis, selten mit der zuvor an den Tag gelegten Dichte. Auch „Be Water“ musste also, gerade mit Blick auf den ohnehin vorhandenen Hang zur Elegie innerhalb der Band, mit der Gefahr leben, sich in einem pseudo-avantgardistischen Gestus zu verrennen. Und tatsächlich ist auf diesem dritten Album eine Weiterentwicklung kaum zu überhören, die die Schritte der US-amerikanischen Kollegen jedoch nicht als Kopiervorlage verkennt, sondern aus deren Fehlern gelernt hat und zum eigenen Vorteil nutzt.

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Statt hier krampfhaft auf Innovation zu setzen – ein Unterfangen, dass im Posthardcore ohnehin selten wirklich glückte – arbeiten The Tidal Sleep weiter an Details und setzen auf scharfe Konturen, um die Intensität ihrer Stücke noch zu steigern. Von Bedeutung sind dabei durchaus die über Dekaden einstudierten Laut/Leise-Dynamiken, die sich hier jedoch nicht in einem plumpen Verse/Chorus/Verse-Spiel erschöpfen. Überraschende Strukturen dominieren stattdessen das Songwriting, etwa im demolierten „Sogas“, das nicht nur mit spanischem Gastgesang aufwartet, sondern nach seinem getragen-reduzierten Einstieg zunächst keineswegs die aggressive Entladung sucht, sondern noch einen Alternative-Rock-verdächtigen Part einschleust, der erst für das entsprechende Spannungsverhältnis sorgt.

„Be Water“ profitiert dabei auch von einer Gitarrenarbeit, die sich deutlich am fiebrigen Sound von Bands wie Explosions In The Sky oder Sigur Rós abarbeitet. Hervorragend passt der dadurch entstehende Eindruck wellenartiger Bewegungen zur maritimen Symbolik, die nicht nur der Titel, sondern auch das vorab veröffentlichte „Undertows“ bedienen. Allgemein geht es textlich um Standardsituation, um Durchhaltevermögen, emotionale Krisen und den permanent drohenden Niedergang, die ihren Nachdruck vor allem aus der zwischen Screamo, Emo-Eingängigkeit und Jeremy-Bolm-Gedächtnis-Gekeife Performance des Frontmanns Nick gewinnt.

Natürlich gibt es auch nach wie vor fiese Momente, das frenetische „Poisons“ ebenso wie das wuchtige „Collapses“, doch sie sind hier eben nicht Markenzeichen, sondern Teil einer erweiterten Palette, die in beinahe jedem Stück Platz für kontemplative Momente lässt und ihren Gegenpol wohl im abschließenden „Footsteps“ findet. Über ein perlendes Riff, Sprechgesang und eine weibliche Gaststimme steuert das Stück auf seine unvermeidbare Katharsis zu, die ihrem Vorspiel jedoch gerade wegen einer künstlich forcierten Pause vorab gerecht wird. Das ist pure Theatralik und genau darin besteht die große Qualität dieses Albums: Ihre verlorene Frische versuchen The Tidal Sleep nicht mit künstlicher Reife zu kaschieren, sondern gleichen sie mit einem gewachsenen Gespür für Inszenierungen aus, die immer auf den maximalen Effekt zielen und ihn zumeist erreichen.

„Be Water“ erscheint am 26.05. via This Charming Man auf Platte, CD und digital.

Sebastian
Sebastian
Aus Saarbrücken, in Münster, immer auf Testspiel, manchmal auch hier: http://mordopolus.tumblr.com/

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