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Album der Woche: Milo – Who Told You To Think​?​?​!​!​?​!​?​!​?​! (Kritik)

Wer einmal wirklich finstere Täler durchschreiten möchte, der wage sich vor in die Kommentarspalten des jüngst auf Youtube gelandeten, hervorragenden, kryptischen Videos zu „Moonlight“. Dort bezichtigen sich Avatare gegenseitig plakativ des Rassismus, dort wird diskutiert, ob Jay Z wohl homosexuell ist oder nicht und was all das über die Lage der Nation aussagt, natürlich ohne darauf zu achten, wie geschickt und vielfältig der Clip mit kulturellen Symbolen spielt, um das komplexe Problem „kulturelle Aneignung“ angemessen darstellen zu können. Ein beliebtes Vorurteil ist ja, dass im Mainstream angekommene Musik derartige Unterfangen gar nicht leisten kann geschweigedenn möchte – vielmehr sind es jedoch die Hörer und die aus ihnen hervorgehenden Kommentatoren, die mit ihrem digitalen Lärm jeden halbwegs klaren Gedanken in dumpfem Gebrabbel ersticken.

Ganz anders hingegen jene Ruhe, die sich unter einem der vielfach weniger geklickten Videos des Rappers Milo findet, der sich wiederum Mühe gibt, auf seinem aktuellen Album ein beliebtes Vorurteil gegen Underground Hip Hop zu widerlegen; diesem wirft man nämlich gerne im Gegenzug Auskennertum, Exklusion und Weltabgewandtheit vor, gerade in Zeiten, in denen sich Kollegen mit Aussicht auf Chartplatzierungen mit politischen Statements geradezu überschlagen. „Who Told You To Think“‹?“‹?“‹!“‹!“‹?“‹!“‹?“‹!“‹?“‹!“ ist nun einige Ecken von derartiger Direktheit entfernt, zeigt sich der aktuellen Situation jedoch immer wieder bewusst, lässt sie unterschwellig in Reflektionen zur Rolle des Künstlers in der Gesellschaft einfließen und wird zu einem integralen Bestandteil des dichten Referneznetzes, das Milo auch auf diesem Album spannt.

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Obwohl es sich hier wohl um das zugänglichste Album seiner Karriere handelt, sind noch immer genügend krumme Einfälle vorhanden, um die Sache vor allzu viel Gefälligkeit zu bewahren. Wie Milo in „Magician (Suture)“ zwischen dringlichen Strophen und glitchigem Finale changiert, fasst die Identität dieses Albums recht passend zusammen: Vollwertige Songs wechseln sich mit (scheinbaren) Skizzen ab, Kopfnicker-Geschichten und Ambient-artiges Geklacker (wundervoll melancholisch: „Note To Mrs“) konkurrieren, zusammengehalten von einem leichten Jazz-Geschmack, der immer wieder auch in direkten Referenzen Gestalt annimmt.

Gerne hat man Milo in der Vergangenheit gerade wegen solcher Einschübe als belesenen Besserwisser abgetan, der seine Parts mit wichtigen Namen überfüllt und dazwischen seine eigenen Inhalte vergisst. Dabei ist ein Zitat hier natürlich nie nur ein Zitat, sondern wird stets gekippt, umgestülpt und auf emotionale Bedeutung ebenso wie gesellschaftliche Relevanz geprüft. Dabei geht es immer auch darum, das eigene Verständnis von Kunst im Allgemeinen und Hip Hop im Speziellen zu prüfen, nicht ohne dabei deinen mit Kohle protzenden Lieblingsrappern ans Bein zu pissen: „Why’s your favorite rapper always babbling about his brand again?/Like we asked him? Like we asked him?“.

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„Who Told You To Think?“‹?“‹!“‹!“‹?“‹!“‹?“‹!“‹?“‹!“ ist dabei kein verbittertes, sondern vielmehr ein verspieltes Album geworden, das gerne mit etablierten Formen bricht, stets mit der Hoffnung im Hinterkopf, dass es da draußen noch viel mehr zu entdecken gibt, irgendwo zwischen Pop, Museum, Rap und afroamerikanischer Erfahrung, wie das leiernde „Take Advantage Of The Naysayer“ verspricht. Den besonderen Reiz machen dabei gerade jene Leerstellen aus, wie sie Kollege Self-Jupiter in seinem assoziativen Gastbeitrag zu „Ornette’s Swan Song“ lässt: „Scrumptious summer dreams/Makes me feel like…/Burning jasper, don’t ask me why/Just ask me why not“.

„Who Told You To Think?“‹?“‹!“‹!“‹?“‹!“‹?“‹!“‹?“‹!“ erschien am 11.08. via Ruby Yacht auf Platte, CD und digital.

Sebastian
Sebastian
Aus Saarbrücken, in Münster, immer auf Testspiel, manchmal auch hier: http://mordopolus.tumblr.com/

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