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Album der Woche: Björk – Utopia (Kritik)

Das Ende einer kreativen Karriere kommt im Popgeschäft meist schleichend, kündigt sich verhalten an und offenbart sich erst, wenn es sowieso zu spät ist. Kurz vor „Vulnicura“ schien es bei Björk soweit zu sein: Die Abstände zwischen den Platten wurden länger, die Ideen dünner, es ging immer häufiger um (möglicherweise lohnendes, aber eben nur) Beiwerk wie Apps und selbstgebaute Instrumente und immer seltener darum, Kraft der eigenen Musik zu überzeugen. Doch dann war da plötzlich dieser Songzyklus in dem Björk, flankiert von den beiden jungen Talenten Arca und The Haxan Cloak, eine jüngst abgelaufene, schmerzliche Trennung erneut durchspielte, inklusive depressivem Schwerpunkt und vorsichtig artikulierter Hoffnung gen Ende, vor allem jedoch mit all den Komponenten, die ihre besten Arbeiten ausgezeichnet hatten: Der zeitgemäße Sound, der Kontrast zwischen organischen Streichern und synthetischen Klangelementen, die expressiv-abstrakte Auseinandersetzung mit Emotionen, alles aufbereitet für das Jahr 2015.

So hervorragend diese Volte gelang, so gut war sie aber auch als einmaliges Manöver denkbar, schließlich war die Platte thematisch geschlossen und hatte einen konkreten, aktuellen Anlass als Inspirationsquelle. Als Schreckensszenario stand eine Zukunft als Künstlerin im Raum, die glaubt, ihre Formel für die Spätphase ihrer Karriere gefunden zu haben und diese nun unendlich reproduziert, bis auch noch das letzte höfliche Lächeln von Hörerseite einem beschämten zur-Seite-Blicken gewichen ist. Die erneute, dieses Mal sogar noch früher im Arbeitsprozess erfolgte Verpflichtung Arcas ließ das Schlimmste befürchten, und auch der über das Thema Liebe erfolgende Anschluss an den Vorgänger schrie nach Popakademie Mannheim, Musikbusiness, erstes Semester, Stichwort: Küsnstlerentwicklung. Heimlich hatte man bereits die innere Musealisierung dieser ehedem innovativen Künstlerin vorbereitet, da poppte die erste Single „The Gate“ auf und war atmosphärisch zwar nicht allzu weit vom Vorgänger entfernt, deutete jedoch bereits an, dass es nicht ganz so einfach werden würde wie gedacht mit „Utopia“.

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Liebe spielt hier zwar eine Rolle, jedoch nicht als plumper Gegenentwurf zur intimen Leidensschau auf „Vulnicura“, sondern in einem ausufernd-optimistischen, gesamtgesellschaftlichen Sinne. Wäre Björk nicht Björk, sie hätte der Platte wohl ein Manifest zur Seite gestellt, voller feministischer Statements, hoffnungsfroher Botschaften und spiritueller Erwägungen, statt „Utopia“ in einem Interview flapsig als ihr „tinder album“ anzukündigen. Zwar geht es hier vereinzelt tatsächlich um aufkeimende Liebe, und auch Google und MP3s werden mit ein paar Zeilen bedacht, doch all das bildet nicht den Kern dieser Platte, die sich so beharrlich davor drückt, auf einen Nenner gebracht zu werden, eine kohärente Einheit im Sinne des Vorgängers dazustellen.

Statt sich nun also auf dem zuletzt gefundenen Sound auszuruhen, nutzen Björk und Arca die eingespielte Partnerschaft, um neues Territorium zu erschließen. Über 70 Minuten nesteln sie sich durch desolate Beats, field recordings, gewohnt kontemplative Streicher und nicht zuletzt eine ganze Armada an Arrangements, die von einem 12-köpfigen, handverlesenen Ensemble isländischer Flötistinnen eingespielt wurden. Klanglich findet sich in diesem Element wohl die entschiedenste Abgrenzung von allen Vorgänger, demonstrativ angekündigt auf dem Artwork der Platte, das die Musikerin in glibberiger Sci-Fi-Fantasy-Porno-Optik das Instrument einer Waffe gleich dem Betrachter darbietend zeigt.

„The Gate“ nahm diesen vielseitigen Flöteneinsatz bei aller auf den Vorgänger veeweisenden Finsternis und dem eher ausgehölten Klang bereits vorweg, ließ die Töne als vorsichtig aufgetragene Tupfer durch die düstere Leere des Songs tapsen und sich damit irgendwie auch als Portal zwischen den Alben verstehen. „Utopia“ beherbergt erneut Streicher in verschiedener Ausführung (auffällig ist etwa die Harfe im zarten „Blissing Me“, das voreilige Stimmen bereits „Joanna Newsom“ schreien ließ) doch dieses Mal geben sie eben selten den Ton an. Stattdessen ordnen sie sich einem sehr weitläufigen Klangbild unter, das Platz für vollkommen verschiedene Akzentuierungen und, damit einhergehend, Stimmungen lässt. „Features Creatures“ bricht den potentiellen Ethnokitsch der Instrumentierung mit Glitches auf, morpht die Flöten zwischen atmosphärischer Soundscape, rhytmischem Klangelement und Krach hin und her, während vor allem am Ende der Platte versöhnlicher Frohsinn im Raum steht. Geeint wird all das von Björks Stimme, die (der Sache geschuldet) hier wieder deutlich variabler, weniger schwermütig und teils beinahe kindlich eingesetzt wird.

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Damit ist auch klar, dass man von „Utopia“ keine radikale Neuerfindung erwarten darf, die ohnehin nie Björks Spezialgebiet war. Im Gegensatz zu beispielsweise Bowie versucht sie nur sehr selten, vollkommen in ihren Rollen aufzugehen, spielt eigentlich nur mit neuen Sounds, Verkleidungen, Ideen und nutzt sie vor allem, um ihren eigenen Charakter noch stärker hervortreten zu lassen. Dieses (pseudo-)naive Irren zwischen Identität und Pose bestimmt das neue Material vor allem klanglich, schafft die Bedingungen dafür, dass hier nicht nur notorisch Trademarks abgerufen werden, dass sowohl eine idyllische Miniatur wie „Paradisia“ als auch das vielschichtige, überbordende „Body Memory“ ihren Platz innerhalb der Tracklist finden und dass Arcas mittlerweile bekannte Tricks immer wieder frisch in Szene gesetzt werden.

Oft bewegen sich die Songs dabei absichtlich am Rande des im Pop machbaren, kokettieren mit avantgardistischen Strategien und wollen den Hörer offensichtlich überfordern. Sowohl das Album als Ganzes als auch einzelne Stücke testen diese Grenzen aus, entgehen dem Schicksal der trockenen Kopflastigkeit jedoch immer wieder geschickt durch das Samplen von Naturgeräuschen, intuitiven Stimmeinsatz oder unverblümten Optimismus in den Texten. Björks Musik profitierte immer schon massiv von Kontrasten, und so reizvoll „Vulnicura“ in seiner dichten Kreisbewegung war: „Utopia“ ist das aufregendere, spielerischere und vielleicht sogar nachhaltigere Album. Möglicherweise liefert es nachträglich sogar die Erklärung dafür, wieso die retrospektiv angelegte Ausstellung im MoMa 2015 scheitern musste: In dieser Künstlerin steckt noch zu viel Energie, um sie kuratorisch in Form einer Werkschau stilllegen zu können. Björk ist nicht passiert, Björk passiert noch immer.

„Utopia“ erschien am 24.11. via Embassy Of Music auf Vinyl, CD und digital.

Sebastian
Sebastian
Aus Saarbrücken, in Münster, immer auf Testspiel, manchmal auch hier: http://mordopolus.tumblr.com/

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