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Album der Woche: Tyler, The Creator – Flower Boy (Kritik)

Eigentlich galt es als beschlossene Sache, dass Tyler, The Creator seine Karriere als Rapper in eine Sackgasse manövriert hatte. Während andere Kollegen, die zu Beginn der Dekade mit unkonventionellen Hip-Hop-Entwürfen für Aufsehen sorgten, langsam ihren Platz im Spiel zementierten, hatte Tyler seine radikale Lo-Fi-Musik demontiert, ohne einen vergleichbar begeisterungsfähigen Sound in der Hinterhand zu haben. Dieses sich langsam zu einem Problem entwickelnde Defizit ließ seine letzten charmanten Masken auf „Cherry Bomb“ fallen, einem ziellosen, satt wirkenden Album, das zwischen pubertären Scherzen, willkürlichen Ausflügen in Richtung Krach und Soul sowie einer generellen,zur Kopie neigenden N*E*R*D Inspiriertheit keine eigene Identität entwickeln wollte, vor allem jedoch kaum brauchbare Songs an Bord hatte.

Es brauchte entsprechend ein bisschen Zeit um zu realisieren, dass „Flower Boy“ die Entwicklung liefert, die Tyler bereits länger andeutet, jedoch nicht zu realisieren in der Lage schien. Der Schlüssel scheint dabei – Kenntnisstand: zwei Tage nach Veröffentlichung – tatsächlich äußerst naheliegend gewesen zu sein: Statt immer nur so zu tun, als würde er gerade einen R’n’B-, Rap-Rock- oder Jazz-Track performen, fehlt dieses Mal häufig die ironische Distanz, das notorische, ungelenke Durchbrechen von Mustern, das zuletzt nur noch ermüdend und erschreckend vorhersehbar wirkte. Anno 2017 gönnen sich einige Stücke den Luxus, ganz einfach schön zu sein, ohne gleich jegliche Komplexität oder eigenen Charakter vermissen zu lassen.

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In Songs wie „Boredom“ lässt Tyler Melodien und Gästen Raum zum Atmen, setzt sie deutlich pointierter ein und schafft damit ein deutlich differenzierteres Klangerlebnis als zuletzt. Ikonen wie Lil Wayne oder Pharrell tauchen zwar auf, wirken jedoch nicht wie Gütesiegel einer Adaption ihres jeweiligen Sounds, sondern als schlüssige Farben in einer Palette, die ebenso unwahrscheinliche (Jaden Smith, Estelle) wie unbekannte (Rex Orange County) Nuancen umfasst. Zudem fehlt all der Tand, die halbfertigen, zusammengeschusterten Songreste, die überflüssigen Features, die unmotivierten Lückenfüller, was die Sicht freigibt auf ein fast vergessenes Songwriting-Talent.

Das heißt keineswegs, dass alle Stücke so sehr den Wohlklang suchen wie das nostalgische „November“ oder „See You Again“. „Garden Shed“ ist irgendwo auf halber Strecke angesiedelt, beginnt als Slow Jam mit federnden Drums, angenehmen Zeilen von Estelle und einer twangenden Gitarre, die sich mitten im Song gegen diesen wendet und zeigt, dass hier mitnichten alles in Ordnung und blumig ist. Bisweilen brechen die fiesen Synthesizer noch aus „Flower Boy“ heraus, doch entweder sind sie schlüssig in das Klangbild integriert, oder sie steigen wie schlechte Erinnerungen empor, flächendeckend etwa im A$AP Rocky featurenden „Who Dat Boy“.

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Den politischen Anspruch des Videos trägt das Album nicht in sich, im Gegenteil: Tyler wird wieder sehr persönlich, nur eben dieses Mal ohne jenen Mummenschanz, der auf „Wolf“ bereits von guter Rahmung in konfusen Ballast umgeschlagen waren, sondern wenn rollenspielend, dann verdeckt, und hier knüpft er an eine weitere alte Kompetenz an: Schon „Bastard“ und „Goblin“ waren schließlich am besten, wenn aus all der Gewalt, den Beleidigungen und Sticheleien vor allem die Unsicherheit und der diffuse Welthass eines gerade der Adoleszenz Entwachsenen sprachen. Es war nicht die Kombination aus Masturbations- und Ermächtigungsfantasien, die zuletzt störten, es war die fehlende Grundierung im Persönlichen, die „Cherry Bomb“ auch auf textlicher Ebene beliebig erscheinen ließ.

Dabei greift es viel zu kurz, nur über ein in den Texten angedeutetes Coming Out zu sprechen, es mit früheren homophoben Äußerungen abzugleichen und sich zu fragen, wie eine Person wie Tyler, The Creator denn nun in die Queer-Community zu integrieren ist. „Flower Boy“ ist in erster Linie ein künstlerisches Statement, das vor Emotionen strotz und seinen Protagonisten im entscheidenden Moment eben doch verdeckt, mit Bienen oder durch selbstvergessenen Singsang wie im letzten Track „Enjoy Right Now, Today“. Welche Konsequenzen privater wie szenepolitischer Natur dieses Album haben wird, bleibt vorerst unklar, für den Moment jedoch auch gerade aufgrund des Spiels mit vermeintlicher Ehrlichkeit und gleichzeitiger Bereitschaft zum jugendlichen Schabernack vollkommen irrelevant. Wichtig ist lediglich, dass eben dieses Spiel nach einer schmerzhaften, langwierigen Findungsphase überhaupt wieder funktionstüchtig scheint.

„Flower Boy“ erscheint am 21.07. via Columbia auf CD und digital.

Sebastian
Sebastian
Aus Saarbrücken, in Münster, immer auf Testspiel, manchmal auch hier: http://mordopolus.tumblr.com/

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