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The Avalanches – Wildflower (Kritik)

Der gemeine Popfan ist im Jahr 2016 ja durch nichts mehr so wirklich aus der Ruhe zu bringen. Comebacks nach jahrzehntlanger Abstinenz, unwahrscheinlichste Reunions, überraschend im Netz auftauchende Veröffentlichungen und solche, an deren Existenz man schon eigentlich gar nicht mehr geglaubt hatte, gehören längst zum Tagesgeschäft. Gleichsam gilt mittlerweile der Konsens, dass derartige Musik frei von ihrem begleitenden Phänomen beurteilt werden muss: Hatte man die Beschissenheit von „Chinese Democarcy“ etwa noch schulterzuckend als logische Konsequenz akzeptiert, musste man im vergangenen Jahr überrascht einräumen, dass diese neue Dr. Dre Platte doch einiges konnte, trotz ihrer endlosen Verzögerungen.

Und nun also das zweite Album der Australier The Avalanches, an deren erstes Album ich mich nicht erinnern kann, da ich damals gerade acht Jahre alt war und staunend einem Mitschüler lauschte, der tatsächlich Fan einer Band mit dem exotischen Namen Linkin Park war. Dementsprechend fragend fiel mein Blick aus, als man vor wenigen Wochen allseits euphorisch verkündete, eben jene Avalanches würden nun, ganze 16 Jahre nach ihrem Debüt, ein zweites Album veröffentlichen.

Zeitzeugen berichteten mir, dass dieses Erbe kein leichtes sei, hatten sie mit „Since I Left You“ (was wäre das denn bitteschön für ein großartiger Titel für ihre aktuelle Platte gewesen!) doch die Sampling-Kultur auf eine neue Ebene gebracht. Aber wie soll man sich als Band nun zur einer solchen Vergangenheit positionieren, wenn in den letzten Jahren die Zeit eben nicht stillstand und die eigenen Errungenschaften längst Konsens geworden sind?

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The Avalanches begegnen dieser Aufgabe mit einem Frontalangriff auf die Aufmerksamkeitsökonomie des Zuhörers. So bunt, wie der Clip zur ersten Single „Frankie Sinatra“ und das Cover „Wildflower“ ankündigten, ist das Album an sich ausgefallen. Bereits nach wenigen Sekunden verliert man sich in einem Strudel aus Assoziationen, Stilen und Zitaten, der vollkommen benommen macht. Statt krampfhaft auf Innovation abzuzielen, beweist die Band ihre Relevanz innerhalb des Pop-Zirkus alleine durch ihre Kunstfertigkeit.

Deren Höhepunkt ist keinesfalls mit dem Balkan/Swing/Rap-Bastard „Frankie Sinatra“ erreicht, vielmehr speist sich der Reiz des Albums aus seiner inneren Geschlossenheit. Wie einst auf „Since I Left You“ streben die Songs ineinander und ergeben erst zusammen einen schlüssigen Klangteppich, der auch Stücke wie das zerfledderte „Live A Lifetime Love“ oder die folgende Gitarrenminiatur „Park Music“ auffangen kann.

An dieser Stelle findet „Wildflower“ ohnehin zu einer luziden Ungenauigkeit, die wirkt, als hätten die Musiker einfach in den Ballon namens Pop hineingestochen und die unterschiedlichen Strömungen aus ihm herausfließen lassen, bis diese sich zu einem psychedelischen Regenbogen zusammenfinden, der am ehesten noch greifbar scheint im weltumarmenden „Sunshine“. Derartige Eindrücke sind eigentlich das Beste, was einer Platte passieren kann, über deren jahrelangen Entstehungsprozess und die damit verbundenen Anstrengungen man nur allzu gut unterrichet ist.

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Handfestere Songs findet man derweil tendenziell in der ersten Hälfte des Albums: „Because I’m Me“ ist ein großartiger (Quasi-)Einstieg mit zwei gutaufgelegten Parts von Camp Lo, während „Subways“ deutlich in Richtung 90er French House schielt und erst durch seinen Nachfolger „Going Home“ aufgedröselt wird. Auch das auf detaillierter Loop-Arbeit basierende, traumähnliche „If I Was A Folkstar“, das gemeinsam mit Toro Y Moi erarbeitet wurde, erinnert an Club-Musik, aber eben nicht im zeitgenössischen Sinne.

Bis auf „Frankie Sinatra“ suchen The Avalanches glücklicherweise nie nach einem wie auch immer gearteten Zeitgeist, den sie vor 16 Jahren noch so gekonnt eingefangen hatten. Damals hatten sie die Inventarisierung des Pop angekurbelt, heute sind sie selbst längst zum Inventar geworden, doch wie eingangs erwähnt ist eine solche Hürde nicht unüberwindbar. „Wildflower“ funktioniert trotzdem als sommerliches, zugleich unbeschwertes wie rätselhaftes Album, eben in genau der Manier, in der heute auch ein simples Gitarrenalbum noch funktionieren kann, obwohl die Akteure dahinter ihrem Instrument unter Umständen keine neuen Tricks abverlangen können, so lange Songs und Attitüde stimmen.

8,0/10

„Wildflower“ erscheint am 08.07. via XL auf Platte, CD und digital.

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Sebastian
Sebastian
Aus Saarbrücken, in Münster, immer auf Testspiel, manchmal auch hier: http://mordopolus.tumblr.com/

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