StartAlbum der WocheSwans - The Glowing Man (Kritik)

Swans – The Glowing Man (Kritik)

Irgendwie hätte es ja auch fast zum Konzept des alten Cowboys Michael Gira gepasst, Swans einfach in endloser Repetition absaufen zu lassen. Alle zwei Jahre immer wieder ewig lange Alben rausbringen, bis entweder die Band schlappmacht, das Publikum sich genervt abwendet oder beides eintritt. Doch vermutlich wäre ihm das selbst zu langweilig gewesen, weswegen nun mit „The Glowing Man“ ein Abgesang auf die aktuellen Swans vorliegt; der Eingang in den Äther, den ihre Musik ohnehin immer zu thematisieren schien. In Tradition der beiden Vorgänger misst das Werk zwei Stunden, wartet mit überlangen Tracks auf und lässt im Ungewissen, was ihm folgen könnte. „Finally, Peace“ etwa?

Das gleichenamige Stück lässt sich jedenfalls als einer der vielfältigen Verweise auf den Abgang der Band lesen, die sich jedoch angenehm nahtlos in Giras kryptische, pseudo-religiöse Verheisungslyrik einreihen. Unheilverkündendes spuckt er aus, etwa in der zweiten Hälfte des halbstündigen Titeltracks: Zu einem aus dem Tosen aufgestiegenen, schleifenartigen Riff legt er Bekenntnis ab, zwischen wirrer Vision und der Eigenkategorisierung als „glowing man“ respektive „nothing man“. Das Nichts hat der Song selbst kurz zuvor exemplifiziert, mit einem wuchtigen Kahlschlag, der sich in seiner Opulenz jenseits von Genres wie Noise oder Drone bewegt und erst gen Ende wieder zitiert wird, um dem Stück (und damit der Band) den letzten Rest zu geben.

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Was hier in Länge, Form und Aussage durchaus als Zusammenfassung der letzten Jahre funktioniert, wird im Laufe des Albums glücklicherweise ordentlich variiert. Gerade zu Beginn des Albums stellen Swans all die Krachfetischisten, die alle zwei Jahre aus ihren gemütlichen Pop-Höhlen gekrochen kommen, um sich hier ihre kalkulierbare Dosis Alibi-Kakophonie abzuholen, auf eine harte Probe. „Cloud Of Forgetting“ wabert in dem Titel entsprechend wolkiger Manier durch Gefilde, die in gleich mehrfach beunruhigender Weise an Dream Pop erinnern. Derartige Ungenauigkeit erlaubt sich die Band sonst eigentlich nur, wenn sie durch eine ordentliche Portion Lärm befeuert wird – hier bleibt der Krach, selbst wenn gegen Ende finstere Wolken aufziehen, Ausnahme.

Selbst das folgende „Cloud Of Unknowing“ bleibt träge in seinem Lärm, wagt nie den passgenauen Angriff, wie ihn auf „To Be Kind“ etwa „Oxygen“ lieferte. Stattdessen greift Gira ein Chor unter die Arme, der zum Glück ebenso wenig prätentiös wirkt wie die desolaten Glocken, die im Lauf des Stücks ertönen. Wer sich hier dennoch enttäuscht abwendet, der hat das Konzept hinter der Platte nicht verstanden: Trotz der deutlichen Abschiedsgeste handelt es sich hierbei nicht um ein käsiges „Geschenk an die Fans“ oder ähnliche Weihnachtsgeschäfts-Schnaps-Ideen. „The Glowing Man“ ist ein reguläres Swans-Album, das zuletzt geprägte Schemata zwar aufgreift, aber zu einer ganz eigenen Suite verdichtet.

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Eine Sonderstellung nimmt innerhalb dieser Gesamtkomposition auch das sanfte „When Will I Return?“ ein; gesungen von Jennifer Gira, Michaels Ehefrau, relativiert der Song den ersten Eindruck, eine Anspielung auf die angekündigte Rückkehr der Swans in neuer Form zu sein, und erweist sich als zittrig vorgetragene Traumaverarbeitung. Der Vergewaltigungsalptraum ist passend platziert zwischen der live erprobten, zwanzigminütigen Junkieballade „Frankie M.“ und dem monumentalen Titeltrack, wo er eine ganz eigene, verstörende Note entfalten kann. Die traumhafte Ambivalenz des Anfangs spitzt sich hier zu einem handfesten Untergangsszenario zusammen.

Gira hat sich jedoch eine letzte Finte bewahrt: „Finally, Peace“ lässt das Album mit versöhnlichem Psychedelic-Rock ausklingen, der natürlich entsprechend verschroben, doch eher zärtlich als bedrohlich anmutet. Flankiert vom bereits eingeführten Chor verlässt Gira das Gebäude, gewohnt grummelig, doch weit entfernt von einer drohenden Apokalypse, wie sie zuvor Songs etwa das unruhige „The World Looks Red/The World Looks Black“ beschwor. An dieser Stelle gerät der Hörer in Versuchung, Verbindungen zu ziehen, Vermutungen anzustellen, über Gira, seinen Frieden mit der Welt oder gar eine Zukunft in milderen musikalischen Gefilden.

„The Glowing Man“ wird man mit derlei Spekulationen kaum gerecht. Zum dritten Mal in Folge ist Swans ein Mammutwerk gelungen, das jenseits von Konventionen und Wahrscheinlichkeit als schamanischer Exorzismus funktioniert und von seinem traumartigen, vagen Start über den brachialen Mittelteil bis zum hymnischen Finale einer klaren Struktur folgt, die Stück für Stück erforscht werden möchte. Genug Material, um gleich zwanzig Sommerlöcher zu füllen.

8,7/10

„The Glowing Man“ erscheint am 17.06. via Young God/Mute auf Platte, CD und digital.

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Sebastian
Sebastian
Aus Saarbrücken, in Münster, immer auf Testspiel, manchmal auch hier: http://mordopolus.tumblr.com/

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