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Roland Tapken von „Aktion Arschloch“ im Interview: „Der Chor stand bereit, es musste nur jemand anfangen zu singen“

„Aktion Arschloch“ ist am Ziel. Die 22 Jahre alte Ärzte Single und Anti-Nazi-Song „Schrei nach Liebe“ ist seit gestern offiziell auf Platz 1 in den deutschen Songcharts von media control. 100% der Erlöse werden mit Unterstützung von den Ärzten an Pro Asyl gespendet. Wir waren von Anfang mit dabei und freuen uns mit allen die die Aktion unstützt haben.

Roland Tapken von „Aktion Arschloch“ hat uns ein paar Fragen per Mail beantwortet.

Testspiel.de: Wann und wie kam euch die Idee zur Aktion? Wie lange habt ihr von der Idee bis zur Umsetzung gebraucht?

Roland Tapken: Das lässt sich gut bei Google+ (wo es den Anfang nahm) nachvollziehen. In der Nacht vom 29. auf den 30. August kam mir auf einer Hochzeitsfeier, während der DJ den Song Westerland spielte, spontan die Idee, dass man „Schrei der Liebe“ eigentlich mal wieder in die Charts pushen müsste und dass das doch wohl nicht so schwer sein könnte:

Roland Tapkens Post auf Google+ der zur „Aktion Arschloch“ führte.

Als Gerhard Torges dies dann am Nachmittag gesehen hat, hat er sofort die Initiative ergriffen:

Ein paar Stunden später war „Aktion Arschloch“ geboren.

Er hat auch die ersten Follower zusammengesammelt, bevor er schließlich um Unterstützung bat und ich sowie weitere Personen mit in die Organisation eingestiegen sind.

Testspiel.de: Was war der Auslöser?

Roland Tapken: Der Frust, dass rechtsextreme Positionen und insbesondere Fremdenhass scheinbar wieder gesellschaftsfähig geworden sind. Dieser Song ist in einem sehr ähnlichen Kontext zu heute entstanden ist (Viele Brandanschläge auf Flüchtlingsheime in den frühen 90er Jahren), und der Erfolg der Aktion bestätigt uns: Nein, Nazis und Fremdenfeinde sind NICHT die Mehrheit!

Testspiel.de: Mal ehrlich, habt ihr mit diesem Erfolg in so kurzer Zeit gerechnet?

Roland Tapken: Nein, niemals. Das war eine Woche wo wir wirklich jeden Tag dachten „Was soll das denn jetzt noch toppen?!“. Es fing an mit den Berichten auf kleineren Blogs und Magazinen, am nächsten Tag waren’s dann plötzlich Zeitungen wie SZ oder die Welt, dann meldeten sich Radiosender für Interviews, am Freitag riefen Fernsehsender an… und die ganze Zeit konnten wir beobachten, wie der Song auf allen Downloadportalen quasi stündlich weiter nach oben rutschte!

Irgendwann ist ein Zitat gefallen, dessen Quelle mir leider nicht direkt bekannt ist, aber was die Aktion eigentlich sehr gut beschreibt:

„Der Chor stand bereit, es musste nur jemand anfangen zu singen“

Testspiel.de: Hattet ihr auch direkten Kontakt zu den Ärzten oder nur über das Management?

Roland Tapken: Nein, einen direkten Kontakt hatten wir nicht, und auch das Management hat sich bisher nur indirekt über die Homepage der Ärzte gemeldet. Das nehmen wir ihnen aber auch nicht übel, schließlich haben wir sie mit der Aktion völlig überrumpelt.

Testspiel.de: Gab es es auch negative Stimmen?

Roland Tapken: Vereinzelnd, in verschiedenen Abstufungen… von der durchaus nachvollziehbaren Kritik, dass dadurch ja nur eine „reiche Band noch reicher gemacht“ werden würde bis zu extrem stumpfen Beleidungen, aber das ging in der Masse der positiven Reaktionen völlig unter! Durch die Ansage der Ärzte, alle Einnahmen aus der Aktion an ProAsyl zu spenden, wurde der erste Punkt auch recht schnell entkräftet.

Am Schwierigsten sind noch einzelne Zeitgenossen, die unseren Namen und das Layout der Seite kopieren um damit negative bis beleidigende Kommentare unter fremde Beiträge zu schreiben und uns so zu diskreditieren. Zum Glück scheint das nicht besonders erfolgreich zu sein, meistens weisen sofort Leute darauf hin, dass es sich um einen Fakeaccount handelt.

Testspiel.de: Wisst ihr schon, wie viele Songs gekauft wurden bzw. wie oft der Titel in den letzten Tagen gespielt wurde?

Roland Tapken: Leider überhaupt nicht.

Testspiel.de: In der deutschen Musikgeschichte dürfte diese Aktion einmalig sein?

Roland Tapken: Es gab – was ich vorher aber nicht wusste – in anderen Ländern schon ähnliche Aktionen, zum Beispiel erst vor kurzem in Österreich sehr erfolgreich mit dem Song „Schweigeminute“. Für Deutschland ist mir aber tatsächlich keine ähnliche Aktion bekannt, insbesondere keine, die derart heftig eingeschlagen ist.

Testspiel.de: Wie hoch schätzt ihr die Spendensumme aktuell ein?

Roland Tapken: Ich habe keine Datenbasis, um diese Zahl in irgendeiner Form schätzen zu können.

Testspiel.de: Verzichten auch iTunes & Co. auf ihre Einnahmen?

Roland Tapken: Wir haben diverse Portale angefragt, aber bisher keine Rückmeldung erhalten. Es würde uns natürlich freuen, wenn am Ende tatsächlich jede einzelne Kaufsumme komplett bei ProAsyl oder anderen Organisationen landen würde. Aber ich denke, die Spenden, die durch die GEMA-Einnahmen der Ärzte zusammengekommen sind, dürften bereits deutlich mehr sein als wenn wir einfach nur so zu Spenden aufgerufen hätten.

Testspiel.de: Ihr habt in nur wenigen Tagen über 115.000 Fans auf Facebook „aufgebaut“, wie geht es dort weiter bzw. wie geht es mit „Aktion-Arschloch“ weiter?

Dafür haben wir noch keinen langfristigen Plan, nur ein paar grobe Ideen. Tatsächlich wäre es schade, wenn wir die erzielte Reichweite nun ungenutzt lassen würden, oder? (Anm. der Redaktion: Auf alle Fälle!)

Testspiel.de: Die Flüchtlingskrise ist ein große Herausforderung für Deutschland, Europa und wenn nicht sogar für die ganze Welt. Was wollt ihr den Meschen mit auf den Weg geben?

Roland Tapken: Langfristig ist es natürlich das beste, wenn es auf der ganzen Welt keinen Grund gäbe, vor Krieg, Armut oder politischer Verfolgung zu flüchten. Aberdiese Vision haben wir noch nicht erreicht, und bis das der Fall ist sollte jeder, der über „möglichst schnelle Abschiebung“ oder „Grenzen zumachen“ redet, darüber nachdenken, dass niemand einen Einfluss darauf hat, wo er geboren wird.

Vielen Dank für das Gespräch!

Und weil die ganze Geschichte so schön ist, binden wir an dieser Stelle erneut „Schrei nach Liebe“ von Die Ärzte ein.

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Marc
Marchttps://www.testspiel.de
Marc hat Testspiel.de ins Leben gerufen und teilt hier seit 2005 seine Leidenschaft für Musik und das Internet.

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