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Let’s redesign Facebook! – Holly Herndon im Porträt

Foto: Stan Musilek

Holly Herndon ist zurzeit die wohl am heißesten gehandelte Künstlerin im Bereich elektronischer Pop- und Dance-Musik. Mit „Platform“ (VÖ: 19.05.2015, Spotify-Stream weiter unten) hat sie nicht nur ein Album veröffentlicht, dass die Grenzen des Genres ausweiten und überschreiten, weshalb sie vom New York Magazine den Titel „Electronic music pioneer“ verliehen bekam. Sie setzt sich in ihrer Kunst, die sie vor allem an ihrem Laptop unter Zuhilfenahme ihrer Stimme produziert, auch mit der Frage auseinander, wie technische Geräte und die von ihnen gesammelten Daten unser Leben beeinflussen – und umgekehrt. Wir haben die großen gesellschaftspolitischen Themen analysiert, die Herndon in ihrer Musik aufgreift.

1. „Big Data“ & Überwachungsstaat: „The more comfortable we get with these devices, the more vulnerable we are“

Wieviel Privatsphäre habe ich eigentlich wirklich im Netz? Diese Frage greift Herndon in ihrer 2014 veröffentlichen Single „Chorus“ auf. Für dieses Stück sampelte Herndon Sounds ihres täglichen Browsens im Internet und verknüpfte Geräusche aus Skype-Gesprächen oder YouTube-Videos zu einem Chor, der die gewaltigen Datenflüsse unserer Online-Aktivitäten hörbar macht.

Das Video zum Track, beigesteuert vom japanischen Künstler Akihiko Taniguchi, zeigt die Laptops und dazugehörigen Arbeitsplätze von Freunden Herndons und demonstriert damit nicht nur, wie wir unsere Computer als zentrales Objekt in unser Zuhause integrieren.

Durch Störungen und Fehler in den Bildern wird gleichzeitig ein Gefühl von Unbehagen erzeugt. So, als sei an dieser eigentlich ganz normalen und für jeden nachvollziehbaren Situation irgendetwas gehörig faul. Herndon erläutert die Hintergründe im Gespräch mit dezeen.com:

„The more comfortable we get with these devices, the more vulnerable we are. We are learning more and more about the NSA revelations; I think it is really interesting that we have never been more intimate with these machines, and at the same time have never had such cause to be suspicious of them. We wanted to capture both of those sides.“

Holly Herndon – „Chorus“

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In einem weiteren Track – „Home“ – thematisiert Herndon ihre Beziehung zu ihrem Computer und geht dabei insbesondere auf die Veränderung ein, die ihre Einstellung zu ihrem Laptop seit dem NSA-Skandal durchlaufen hat. Früher, so Herndon, sei dieser ihr Zuhause gewesen, die Intimität dieses Zuhauses ist jedoch durch die NSA-Aufdeckungen angetastet worden. Ein Verrat, der Folgen hat. In „Home“ richtet sie sich deshalb direkt an das unsichtbare Publikum, das anscheinend alles, was sie auf ihrem Laptop in Sicherheit wähnte, sehen kann. „Home“ ist, so Herndon

„a love song for prying eyes (an agent / a critic), and also a break up song with the devices with which I shared a naive relationship.“

Holly Herndon – „Home“

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2. Digitaler Feudalismus/Neo-Feudalismus: „Facebook has only been round a few years – let“™s fucking redesign it“

In „Minnesang: A Tale of Bits and Atoms“, das Holly Herndon gemeinsam mit dem Schweizer Tech-Theoretiker Hannes Grassegger für das Dis Magazine kreierte, übertragen die beiden Künstler die Idee des mittelalterlichen Feudalismus auf das heutige digitale Zeitalter, in der der „Provider“ die Menschen knechtet und ihre Daten aus ihnen heraussaugt, sie dafür aber in der digitalen Community – auf der Platform – duldet. Das Zwiegespräch, unterlegt mit deutschen Minnesängen aus dem 12. Jahrhundert, wird geführt von Herndon als Datenkrake und Grassegger in der Rolle des Menschen und demonstriert die oben genannte Abhängigkeit:

2015-02-20T14:62:28-05:00 : Data : Oh, zarte, warme Datenströme.
2015-02-20T14:64:28-05:00 : Data : Deine Welt sei eine Scheibe,
2015-02-20T14:66:28-05:00 : Data : Komm zur Hard Disk. Komm zu mir.
2015-02-20T14:68:28-05:00 : Man : I once used to roam so freely
2015-02-20T14:70:28-05:00 : Man : On that common ground of hope
2015-02-20T14:72:28-05:00 : Man : But since the rulers took the land
2015-02-20T14:74:28-05:00 : Man : They locked me in
2015-02-20T14:76:28-05:00 : Man : They set harsh rules
2015-02-20T14:78:28-05:00 : Man : Took away those rights my fathers fathers
2015-02-20T14:80:28-05:00 : Man : fought for so bravely
2015-02-20T14:82:28-05:00 : Man : I had to sign the contract, I“™m bonded
2015-02-20T14:84:28-05:00 : Man : Terms and conditions now shape my life
2015-02-20T14:86:28-05:00 : Man : Life is under universal suspicion

Das Gespräch schließt mit:

2015-02-20T14:94:28-05:00 : Man : How can I leave the platform
2015-02-20T14:96:28-05:00 : Man : Without loosing what I am?

Damit stellen Herndon und Grassegger die zentrale Frage: Wie kann man sich den Zwängen der digitalen Gesellschaft und damit der Ausschlachtung der eigenen Daten durch andere entziehen, ohne das aufzugeben, was man ist – nämlich ein Teil der Community? Eine Antwort geben Herndon und Grassegger nicht.

Holly Herndon & Hannes Grassegger – „Minnesang: A Tale Of Bits And Atoms“

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Herndon sagt auf Twitter auch noch einmal genauer, was mit dem Projekt gemeint ist:

Die Frage, wer eigentlich wirklich die Gewalt über unsere Daten hat, stellt Herndon sich und ihrem Publikum auch bei ihren Live-Performances. Ihr musikalischer Partner Mat Dryhurst durchstöbert dazu während des Gigs die dazugehörige Facebook-Veranstaltungsseite und stöbert – auf eine Leinwand projiziert – unter den Augen aller, auf den Facebook-Profilen einzelner Besucher herum. Herndon sagt zu den Hintergründen dieser im Fact Mag:

„The Facebook thing is kind of about public awareness – like, „˜hey guys, your Facebook isn“™t really that private“™. The way that these platforms are built, they have this false sense of intimacy and privacy – but you don“™t even own your own data on there, someone else has monetised it!“

Und auch eine Lösung hat Herndon parat: Anstatt zu akzeptieren, dass das mit Facebook und alle anderen Datensammlern nun mal so ist, wie es ist, sollte man das Ganze doch einfach mal neu machen:

„Facebook has only been round a few years – let“™s fucking redesign it, let“™s come up with better ideas! Capitalism is sucking the life out of everything, but it doesn“™t have to be like that. Let“™s come up with alternatives.“

Gute Idee. Wir sind gespannt auf die Umsetzung!

Das Album „Platform“ von Holly Herndon:

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Weitere Künstler die mit kritischem Blick und neuen Ideen durch die Welt gehen, findet ihr übrigens auf defanzy.de in der Rubrik „Pionier“. Zum Beispiel: Wie Deichkind die 10 größten Macken unserer Gesellschaft analysieren.

 Mit freundlicher Unterstützung von defanzy.

 

Theresa
Theresa
Exil-Pfälzerin und Journalistin in Hamburg/St. Pauli.

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