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Im Unbekannten Klarheit finden: Hendrik Otremba im Interview

Als Hendrik Otremba in der bahnhofsnahen Trinkhalle Rheine mit seiner Band Messer den zweiten Teil der Tour zu ihrem aktuellen Album „Jalousie“ eröffnet, weiß sicher nicht jeder im Publikum, dass der multifunktionale Sänger seit dem 13. März offiziel auch als Romancier bezeichnet werden darf. Im Verbrecher Verlag erschien sein Debüt „Über uns der Schaum“, dessen Titel – wie wiederum vielleicht nur Fans der Band Messer wissen – einer Zeile aus besagtem Album entliehen ist. Voreilige Schlüsse bezüglich möglicher Querverbindungen liegen nahe, doch mit Pop-Literatur hat die Geschiche um den Privatdetektiv Weynberg, der aus einer namenlosen, dystopischen Stadt vor übermächtigen Verfolgern gen Osten flieht, nur peripher zu tun. Stattdessen trifft der Leser auf existenzialistische Fragen nach dem Wesenskern des Menschen ebenso wie auf bekannte Settings zwischen Film Noir, Western und düsterer Science Fiction. Ordnung in dieses Sammelsurium zu bringen fällt entsprechend schwer, weswegen die generell Pop-unverdächtige Rheiner Innenstadt vielleicht nicht der schlechteste Ort ist, um mit Otremba über die Bedeutung von Klischees, Erinnerungskultur und Selbstreferentialität in seinem Schaffen zu sprechen, bevor er wieder in die Rolle des Sängers von Messer schlüpft.

Beim Lesen deines Romans stellt sich ein aus Messertexten bekannter Effekt ein: Es fällt schwer, sich zu orientieren, unter anderem wegen der weitestgehend fehlenden Ortsnamen. Hast du dieses Stilmittel aufgegriffen, um die Handlung vor Eindeutigkeit und Eindimensionalität zu schützen?

Das ist mir schon ein Anliegen, aber in allem, was ich mache. Ich versuche zu verhindern, dass die Leute nach der Auseinandersetzung etwas einordnen, abhaken und Klarheit haben, weil das schnell Stagnation bedeutet. Unklarheiten entstehen bei mir nicht immer bewusst, erzeugen aber die Herausforderung, sich selber zu orientieren. Es geht mir darum, nichts in einem Unterhaltungssinne zu liefern, ich möchte eher, dass die Leute irritiert, aber angezogen sind und sich selbst ihre Gedanke machen. Auch in einem Tod-des-Autors-Sinne.

Innerhalb des Romans fällt nicht nur die räumliche Orientierung schwer, auch mögliche Referenzen an unsere Welt sind fast vollständig getilgt, stattdessen gibt es eine erfundene Droge, eine erfundene Zigarettenmarke und so weiter. Ist das ein Versuch, den Plot noch weiter der Realität zu entziehen?

Es ist auf jeden Fall ein Zugeständnis an das Potential der Erfindung. Ich glaube, dass man durch eine Erfindung manchmal einer – wie auch immer gearteten – Wirklichkeit näher kommen kann, als wenn man im Sinne einer Pop-Literatur mit Markennamen hantiert. Finde ich auch super, ist aber irgendwie nicht mein Ding.

Wolltest du dich bewusst von Pop-Literatur abgrenzen? Du wirst ja vermutlich als Sänger einer bekannten Band automatisch dort einsortiert, und es gab in den letzten Jahren ja einige Kollegen, die diesen Schritt gewagt haben, Spilker, Distelmeyer …

Ich will mich ganz bestimmt nicht von tollen Künstlern wie Frank Spilker oder Jochen Distelmeyer abgrenzen. Gleichzeitig hab ich mich aber auch nie als Sänger einer Rock- oder Pop-Band begriffen. Für mich ist Messer sehr wichtig, auch das Schreiben von Texten auf Deutsch und das körperliche Performen, aber ich habe nie eine Identität als Sänger gehabt. Deshalb ist es für mich auch nicht so, dass es bei meinen Aktivitäten eine Chronologie oder eine Hierarchie gibt. Ich hab nicht jetzt auch mal ein Buch geschrieben, ich hab schon vorher geschrieben, das wurde nur anders wahrgenommen. Es war immer so, dass ich mich mit verschiedenen Disziplinen beschäftigt hab – das Singen kam dabei eigentlich so ziemlich zuletzt, hat aber am meisten Aufmerksamkeit erzeugt.

Ich möchte mich auch nicht dieser Art der Popliteratur entziehen, gleichzeitig bin ich aber ganz glücklich damit, dass es möglich ist, ohne große Anstrengung etwas zu tun, das als etwas Anderes wahrgenommen wird. Das gab es bisher in fast jedem Interview bis hin zu der These, ich sei ein Anti-Pop-Literat, was ich natürlich auch nicht bin. Aber ich freue mich, dass es in Erwägung gezogen wird.

Gerade vor dem Gedanken, dass dir Performance wichtig zu sein scheint und Weynberg immer wieder Messer-Texte zitiert: Performst du auch Weynberg?

Nee, überhaupt nicht. Um auf diese Textfragmente einzugehen: Die kommen zum Teil auch in Messertexten vor, es ist aber auch häufig so gewesen, dass die erst im Roman waren und dann auf „Jalousie“. Dann gibt es da auch unveröffentlichte lyrische Texte ebenso wie ganz alte Messertexte, da verlaufen die Bewegungen chaotisch. Daher würde ich auch nicht sage, dass ich Weynberg performe; ich habe mir lediglich einen Mantel gekauft, aus einer Affinität zu Detektiven. In einer erfundenen Figur steckt sicher auch immer etwas von einem selber drin, aber Weynberg hat zum Glück nicht viel mit mir gemein. Auch auf der Bühne performe ich etwas, das vollkommen anders ist als meine Privatperson, die Frage nach Authentizität muss man definitiv immer wieder stellen und immer wieder durchbrechen.

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Welche Rolle spielt in Sachen Authentizität der Zettel, den Weynberg Maude an einer Stelle der Geschichte überlässt und der als Handschrift im Buch abgedruckt ist?

Mir ging es dabei nicht direkt um Authentizität, sondern vor allem um eine Intensität. Für mich ist das aber auch inhaltlich ein wichtiger Moment, weil da ein Unvermögen in der Kommunikation durchbrochen wird. Später wird dieser Moment ja auch erneut aufgegriffen.

Dieser Mangel an Kommunikation ist zentraler Bestandteil des Buches, immer wieder versteht Weynberg zudem Dinge nicht, bis er schließlich die Stadt verlässt. Ist der Grad funktionierender Kommunikation ein Maßstab für die Intaktheit der Welt?

Ich würde sagen, eine Welt in der die Menschen sich verstehen können und in der eine Kommunikation stattfindet, ist automatisch intakter als eine, in der das nicht gilt. In diesem Fall ist glaub ich das Gefühl wichtiger, im Unbekannten mehr Klarheit zu finden. Du sprichst seit 30 Jahren eine Sprache, kennst eine Umgebung, hast Beziehungen, und dann bist du irgendwo anders und glaubst zum ersten Mal etwas zu verstehen, wovon du zuvor nicht mal die leiseste Ahnung hattest. Solche Fragen stellen sich glaube ich jedem Menschen, der sich Veränderungen aussetzt und Entscheidungen trifft im Leben.

Das Buch geht noch tiefer und stellt im Subtext existenzialistische Fragen danach was den Menschen eigentlich ausmacht, da geht es um Tiervergleiche …

Ja, der chinesische Motorradfahrer war eigentlich eine Ameise mit seiner Lederkluft und dem schwarzen Helm. Aber ich hab mit meinem Verleger so lange drum gekämpft, bis ich ihm schließlich gelassen hab, dass das mit der Ameise wegfällt …

Aber es wird ja die Frage gestellt, was den Menschen eigentlich ausmacht, und ob Kunst ein Angebot ist, Sinn zu stiften. Gerade als der Vater der Familie, die Weynberg und Maude in Neu-Quingdao aufnimmt, Jazzplatten auflegt.

Das ist eigentlich voll die schräge, queere, komische Familie zu der die da kommen. Und was machen die zusammen? Die essen und sitzen an einem Tisch, erfahren Aufmerksamkeit und werden irgendwie empfangen. Ich würd sagen, dass die Familie irgendwie kultiviert ist, also ja, das ist ein Angebot.

Funktioniert diese Kultiviertheit dann im Gegensatz zu den Tiervergleichen die oft Menschen betreffen, die irgendwie verroht sind?

Die sich unkultiviert verhalten, ja. Ich bin ein Freund der Tiere, aber eine gewisse Triebhaftigkeit soll mit diesen Vergleichen schon verhandelt werden.

Trieb zeichnet die Beziehung zwischen Maude und Weynberg aus, was aber die Heilsamkeit dieses Triebes angeht, darüber bleibt der Leser so unklar wie Weynberg selbst über Maude. Ist der Trieb hier positiv besetzt?

Das würd ich nicht so beantworten, dass es da eine Klarheit gibt, die Trieb auf der einen und Vernunft auf der anderen Seite verortet. Das Setting ist zu komplex und individuell und sollte daher immer wieder neu betrachtet werden. Ich fand es da wichtiger deutlich zu machen, dass die meisten Menschen nicht ganz klar kriegen, wo sie welchen Energien gehorchen.

Das Fluchtmotiv lässt auch zu, die Geschichte trotz eines anderen Verlaufs und klarer Genrereferenzen, auf aktuelle Debatten zu übertragen. Du machst aus der für die meisten Menschen sehr fernen jedoch eine sehr konkrete Situation …

Gleichzeitig gibt es da aber auch etwas Abstraktes und Ungreifbares. Deswegen habe ich mir diese Vogelscheuche ausgedacht, die aus unerfindlichen Gründen Leid hervorbringt. Manchmal kann man rekonstruieren, warum Menschen anderen Leid zufügen, und manchmal kann man es gar nicht verstehen. Beides ist schlimm.

So viel im Dunkeln bleibt, eine Referenz liefert der Roman: Auschwitz taucht als Ort auf der Landkarte auf, löst dabei lediglich ein diffuses Gefühl aus und bindet die Geschichte dennoch an unsere Welt. Wieso war dieses Zeichen an dieser Stelle so wichtig?

Ich hab den Anspruch, mich künstlerisch damit zu beschäftigen, auch aus einem Verantwortungsgefühl heraus, etwas gegen das Vergessen zu erzeugen, das Fragen stellt und irritiert. Es gibt nichts schrecklicheres als Dokumentationen über die Shoah, die 45 Minuten dauern, mit Schreckensbildern aus dem Fundus der Nazis verfahren und Shoah-zum-Abhaken liefern. Mit mir haben die Sachen am meisten gemacht, bei denen ich eine Irritation erfahren habe, wie Claude Lanzmanns „Shoah“ oder Art Spiegelmanns „Maus“.

Ich hab mich gefragt, wie ich mich dazu verhalten soll, wer ich bin, dass ich überhaupt was sagen kann, und da dachte ich daran, einfach kurz zuzustechen und die Leute spüren zu lassen, dass da etwas passiert ist. Das Schlimmste wäre gewesen, auf Auschwitz irgendwie einzugehen, stattdessen macht die Stelle deutlich, welche Macht alleine in einen Ortsnamen eingeschrieben ist. Er löst ein Unbehagen aus. Die Welt, in der die Geschichte spielt, ist am Arsch, und anscheinand hat man Auschwitz da vergessen.

Auschwitz findet auch ein Echo in einem Traum Weynbergs, in dem Duschen vorkommen, aus denen Gas strömt.

Das ist ein Alptraum, den ich häufig hab. Viele der Träume im Buch stammen aus meinen Träumen, da bekommt das Unwirkliche doch eine biographische Färbung. Das ist für mich als Schreiber das Spannendste, dass man mit verschiedenen Bewusststeinseben hantieren kann, und dass man etwas Nicht-Autobiographisches schreiben kann, in dem trotzdem ein eigener Traum vorkommt.

Träume spielen in deinem Roman ohnehin eine große Rolle.

Das ist für mich auch ein Appell an andere Künstler, das mal wieder als Quelle zu begreifen, zu sensibilisieren und zu emanzipieren, weil die Vermischung von Beobachtung, Erinnerung, Wahn und Traum eigentlich jeden Menschen beschäftigt. Da ist auch viel zu holen, und ich bin so oft gelangweilt wenn ich mir ansehe was Leute machen und woraus sie schöpfen.

Träume werden oft in Filmen eingesetzt, vielleicht auch, weil sich das Medium besser dazu eignet als ein Buch. Waren Filme für dich nicht nur inhaltlich, sondern auch formal eine Vorlage?

Natürlich, wir können heute ohnehin so viel frei rezipieren, vielleicht bin ich auch deswegen gegen starke Grenzen zwischen Kunstdisziplinen. Ich hab mir manche Sachen wie im Film ausgedacht und dann in Literatur übersetzt. Man könnte sicher auch sagen, dass ich mir einfach etwas ausgedacht und es aufgeschrieben habe, aber ich habe mir schon überlegt, wie es in einem guten Film aussehen würde. Wie haben die Fehlfarben gesungen: „Ich kenne das Leben, bin im Kino gewesen“. Das ist eine Kunstform, in der poetisch wahnsinnig viel gefasst werden kann, was sonst kaum sagbar ist.

Was für einen Stellenwert hatten Klischees in deinem Schreibprozess? Du rufst ja etliche Standardsituationen auf, auch wenn in der Folge etwas anderes passiert.

Und genau darum gehts, um die Folge, darum, ein Klischee nicht zu ignorieren, sondern zu zerbrechen und zu zerfasern. So ist es auch mit den Figuren, wie Maude sich am Anfang etwas gefallen lässt von Männern, bevor man merkt, dass sie der freiste Geist ist, den man sich vorstellen kann. Auch im Hantieren mit Klischees ging es mir um Emanzipation, um Veränderung und Ausbrechen. Außerdem langweile ich mich wenn klar wird, dass jemand ein Klischee erkannt und eine Alternative gesetzt hat. Dadurch entstehen Sachen, die keinen Effekt aufeinander haben. Wenn du dir ein Klischee schnappst und zerstörst, ist das doch viel spannender.

Einer meiner Lieblingsfilme ist „Deadlock“ von Roland Klick. Anthony Dawson spielt in dem Film einen Killer namens Sunshine, der ist auch auf dem Cover des ersten Messeralbums. Das ist eigentlich ein klischeehafter, schmieriger Italowestern, aber auf der anderen Seite ist auch ein essayhafter, intellektueller Kunstfilm. Das sind doch die schönen Momente für einen Künstler: Wenn man sich einer nostalgischen Begeisterung hingeben kann und daraus gleichzeitig etwas macht, das mit der eigenen Gegenwart zusammenhängt. Ich finde auch die Augsburger Puppenkiste toll, aber ich muss jetzt ja keine Fan Fiction schreiben, sondern ich kann das ja nehmen und plötzlich sind die ganz woanders.

Das ist das Tolle an künstlerischer Betätigung, man kann sich Dinge aneignen und umwerten. Deswegen bin ich großer Fan dieser Camp-Nummer von Susan Sontag. Das mach ich ja auch mit meinem eigenen Werk, gerade schreibe ich an etwas, da heißt jemand Kachelbad. Das war auch mal ein Song von uns, aber das gehört doch mir. Ich geb meine Erfindungen ab, mach aber auch mit ihnen was ich will.

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Im Buch kommen etliche Vokabeln vor, die man aus Texten der letzten Messerplatte kennt. Wie ist da das Verhätlnis?

Das sind für mich zwei intensive Auseinandersetzungen, die eigentlich eine Auseinandersetzung sind. Mittlerweile klingt es abgedroschen, aber ich find, das trifft es am besten: Man geht, auch wenn man verschiedene Dinge tut, trotzdem durch eine Motivwelt, und man ist nicht jemand völlig anderes, wenn man statt zu singen einen Roman schreibt.

Ein Wort das immer wieder vorkommt ist auch der titelgebende Schaum …

Ich hab so Wörter, da weiß ich, was man alles daran festmachen kann. Staub ist auch so ein Wort, das hat so eine Präsenz und bei dem merke ich immer wieder, dass es mich anzieht. Und Schaum ist eben die Grenze zwischen Wasser und Luft, zwischen dem Ort, an dem ich atmen kann und an dem ich keine Luft kriege, wo ich abtauchen kann und wo ich gesehen werde.

Das Verschwimmen von Grenzen ist ein weiteres Grundmotiv des Romans. In der Stadt gibt es keinen Unterschied zwischen Gut und Böse, der kehrt erst in Neu-Quingdao zurück, was den Ort weder zur klassischen Dystopie noch Utopie macht. Stattdessen wird eine Orientierung ermöglicht.

Interessante Beobachtung. Manchmal kommt man aber auch an einen neuen Ort und mit der Zeit erweist sich diese Klarheit, von der wir vorhin gesprochen haben, teilweise als Illusion. Wenn du manchmal jemanden kennenlernst und denkst dir: „Das ist der coolste Typ aller Zeiten“. Und dann merkst du irgendwann: „Ach nee, ist auch nur ein Spinner“.

Ich habe auch drauf gewartet, ob die Situation am Ende doch noch kippt, aber manche positive Instanz bleibt ja bestehen, etwa die Familie.

Das sind die einzigen, die eigentlich am Ende noch da sind. Und mir ist wichtig, dass das keine heteronormative, weiße Familie ist, sondern dass die ganz unüblich sind. Das fänd ich richtig schlimm, wenn am Ende meines Romans die Familie als Antwort steht. Man durchschaut die Verhältnisse bei denen gar nicht. Das ist eine Familie, die ich gut finde.

„Über uns der Schaum“ ist im Verbrecher Verlag erschienen und kann für 22€ erworben werden.

Copyright Titelbild: privat.

Sebastian
Sebastian
Aus Saarbrücken, in Münster, immer auf Testspiel, manchmal auch hier: http://mordopolus.tumblr.com/

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