StartKritikenDie Textur des Maifeld Derby 2016 (Festival-Bericht)

Die Textur des Maifeld Derby 2016 (Festival-Bericht)

Credit (für alle Fotos): Florian Trykowski (Facebook / Instagram)

Gut, lebensbedrohliche Unwetter waren es nun nicht, gegen die der Hörer in Mannheim ankämpfen musste, dennoch hatte er es mit gewaltigen Gegnern zu tun. Die rauschenden Gitarrenströme von Explosions In The Sky, die dräuende Elektronik von James Blake, die Abgründe in der Musik von Die Nerven: Klar, niemand hat gesagt, dass so ein Festival ein sommerlicher Spaziergang ist. Aber dominierte auf dem Maifeld Derby nicht mal der freundlich grüßende Indie Pop und das bodenständige Singer/Songwriter Geschrammel? Ohne Frage, im Rahmen seiner sechsten Ausgabe hat das Festival stärker Stoffe eingesetzt, die das Line-Up bisher eher im Hintergrund stabilisierten. Möchte man seine derzeitige Konstitution verstehen, lohnt es, die Texturen aufzudröseln und nach Komponente zu sortieren.

Webstoff

Der größte Konstruktionsmoment des Wochenendes gehörte fraglos Explosions In The Sky: Nachdem im vergangenen Jahr Mogwai für den europäischen Postrock ins Feld zogen, legten die Amerikaner in diesem Jahr nach. Schicht um Schicht stapelten sie ihre Gitarren aufeinander, und während die Bandmitglieder in betäubender Ekstase über die Bühne stolperten, hüllten LEDs selbige in schillernde Farben. Teils ragten die daraus entstehenden Flächen derart frontal ins Publikum, dass sich neben akustischer auch noch optische Überwältigung einstellte.

Explosions In The Sky

Tags zuvor hatte Martin Kohlstedt Ähnliches in kleinerem Rahmen auf dem Parcours d’Amours gewagt. Der Pianist brachte einen Hauch von Hochkultur auf das Festival, ergänzte seine spannenden Klaviertexturen zudem jedoch gewinnbringend mit elektronischem Beiwerk. In seiner Effektivität fegte das Set damit jegliche aktuelle Debatten um Neoklassik vom Tisch, wurde in seiner Strahlkraft jedoch fast noch von Minor Victories übertroffen. Weder die Frische des Projekts noch der teils etwas wacklige Ton konnte die Performance der Band angreifen, die live etwas weniger auf Samples setzte, als es ihr starkes Debüt vermuten ließ und dennoch mit einer wuchtigen Wall of Sound überzeugen konnte.

Plastik

Trotz seines Indie-Charakters hatte das Maifeld Derby noch nie ein Problem mit Pop – in der Vergangenheit tummelten sich im Billing des Festivals jedoch lediglich Künstler, deren große Charterfolge noch ausstanden, siehe Aurora oder Hozier. Mit Mø fand sich nun eine Künstlerin in Mannheim wieder, die dem Konsens-Hit des vergangenen Jahres ihre Stimme lieh: Major Lazers „Lean On“. Der krönte folgerichtig ihr Co-Headliner Set am Freitag, konnte jedoch nicht die vorherige, einstündige Spielzeit stemmen – das musste die Dänin schon alleine besorgen.

Mø

Sie gab ihr Bestes, formatgerecht aufzutreten, zu tanzen, zu wackeln, zu animieren, konnte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihr Gesamtwerk ein bisschen hinter den großen Hits (die es auch abseits von „Lean On“ gibt!) zurückbleibt. Dennoch, ihr Ansatz, Popmusik am Puls der Zeit zu suchen, ohne sich voll und ganz Strömungen wie Neo-R’n’B hinzugeben, war hier richtig platziert und wusste zu unterhalten.

Unterhaltsam war auch das Set des Publikumslieblings Käptn Peng und die Tentakel von Delphi, das kann man Käptn Gwisdek und seiner Band nicht absprechen. Über den Status des netten Versuchs kommen sie für mich jedoch nicht hinaus, dazu fehlen die musikalischen Ideen und die Finesse im Vortrag. Das will eine Alternative zu Hip Hop sein, hat aber verpasst, dass die guten Alternativen im Hip Hop längst Szene-immanent geworden sind. So hantiert Gwisdek mit Dada, tanzt herum, liefert Zeilen fürs Poetry-Slam-Poesiealbum, ist aber nicht State-of-the-Art, sondern lediglich Plastik-Imitat einer Hip-Hop-Band.

Metall

Nein, bei aller Genre-Vielfalt hat es der Metal noch nicht so recht auf das Maimarktgelände geschafft. Das Booking wagt sich zwar in Randbereiche vor, wie den explosiven 70er-Rock der gewohnt formidablen Kadavar oder den spannenden Soul-Post-Punk-Industrial, den Algiers dem ausgezehrten Publikum am Sonntag zumuteten, doch so richtig feister Thrash Metal oder eine derbe Portion Death Metal fehlt flächendeckend noch immer. Um auf dieses Defizit hinzuweisen beschloss ausgerechnet der pfälzische New-Wave-Emporkömmling Drangsal sein Set am Samstag mit einem etwas fahrigen, aber dafür umso überraschenderen Cover des Metallica Gassenhauers „For Whom The Bell Tolls“. Stilistisch zwar weit von seinem eigentlichen Sound entfernt, passte der Song jedoch zu seinem brachialen Image.

Drangsal

Das pflegt der mittlerweile nicht mehr glatzköpfige Agent Provocateur mit stichelnden Ansagen und einem dicken Arrangement der besten Stücke seines Debüts „Harieschaim“, dessen Nachfolger er im Rahmen des Sets mit einem neuen, recht poppigen Song bereits in Aussicht stellte. Die Lust auf mehr ist geweckt, auch in Sachen Härte auf Indie-Festivals. Befriedigung fand man bei den Bands, die zu später Stunde das Brückenaward-Zelt bespielten: Metz attackierten mit kompaktem Noiserock, Die Nerven malträtierten mit ätzendem Post-Punk und Pissed Jeans torkelten zu rüpelhaftem Alternative-Rock über die zunehmend ramponierte Bühne.

Immaterielles

Progressive Rockmusik kann wirklich anstrengend sein. Avantgarden wollen immer fordern, entwickeln, Grenzen austesten, ohne dabei Rücksicht auf das Publikum zu nehmen, und der Ansatz von Battles bildet da keine Ausnahme. Ihre Musik ist hochkomplex, entwickelte auf der Bühne jedoch eine unwahrscheinliche Wirkung; ohne an Anspruch zu verlieren, zeigte sich da plötzlich ein unwiderstehlicher Groove. John Staniers energisches Schlagzeugspiel wurde zum Motor einer unkontrolliert tanzenden Masse, die sich den Impulsen gleich jener Froschschenkel fügte, die Galvani einst mit Elektroden zum Zucken brachte.

Ein gewisses Zuckungspotential bot auch James Blakes Headlinerset, das sich stark auf sein jüngst veröffentlichtes, drittes Album „The Colour In Anything“ konzentrierte. Doch so sehr die Bässe den Hörer in Form von Tiefschlägen trafen, Blake am Keyboard reduziert leidete oder er mit seinen beiden Kollegen dichte Club-Tracks formte – es bleiben die Leerstellen, die seine Musik so faszinierend machen und die sich erst auf der Bühne so recht entfalten, Blakes Stimme zum Schimmern bringen und die Qualität der vorhandenen Elemente umso mehr in den Vordergrund rücken.

J Mascis von Dinosaur Jr.

Ganz anders natürlich Dinosaur Jr., bei denen das Volk weiß, was es erhält. Im Gegensatz zu all den Jungspunden, neu verknüpften Kollektiven und Seitenprojekten sind sie eine waschechte Legende, die damals mit aufgebaut hat, was sich heute alle auf die Fahnen schreiben, die nicht dem Verdacht anheim fallen wollen, Mainstream zu sein: Indie nämlich. Und so sehr Mascis, Barlow und Murph auch überzeugen während dieses abschließenden Fackelbühnen-Konzerts, ihr Ruf überstrahlt analog zur Sonne, die sich hier unverhofft noch ein letztes Mal vor dem Unwetter, das Mannheim dann doch noch einholt, zeigt, unweigerlich ihren Auftritt, der ein erneut rundum gelungenes, vielseitiges Maifeld Derby adelte.

Sebastian
Sebastian
Aus Saarbrücken, in Münster, immer auf Testspiel, manchmal auch hier: http://mordopolus.tumblr.com/

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