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Die Pille, die Frauen nicht mehr Lust auf Lust macht – Unstatistik des Monats

Morgen ist September und pünktlich zum Monatsende bringen wir heute noch die Unstatistik des Monats von Gerd Gigerenzer, Thomas Bauer und Walter Krämer. Diesmal geht es um die Berichterstattung zu Addyi, von den Medien umgangsprachlich „Viagra für Frauen“ genannt. Mitte des Monats berichteten Medien auch in Deutschland von dieser Pille, die jetzt in den USA durch die Food and Drug Administration (FDA) zugelassen wurde. So titelte Focus online „Erste Lustpille für Frauen kommt auf den Markt“ und die Süddeutsche „Erste Lustpille für Frauen in den USA zugelassen“ oder „Viagra für Frauen – Addyi -Was Frauen wollen„. Der Tagesspiegel beteiligte sich mit „Mehr Lust auf Lust“ und einen ähnlichen Tonfall gab es bei Spiegel Online. Darauf, dass die Pille wegen der Zielgruppe rosa gefärbt ist, gehen wir jetzt nicht weiter ein, obwohl das alte „Jungs blau, Mädchen rosa“ Schema sicherlich überholt werden sollte. Erstmal ein bisschen Hintergrund zum Thema. Weiter unten geht es dann um die eigentliche Wirkung (or not), die die Pille haben soll.

Es ist bekannt, dass Männer durchschnittlich mehr Lust als Frauen haben. Etwas neuer – und vielleicht noch unbekannter – ist die Erkenntnis, dass es sich dabei um eine klinische Störung handeln soll. Nur beim weiblichen Geschlecht, nicht beim männlichen. Bei wenig Lust heißt die Diagnose für Frauen „hypoactive sexual desire disorder“ (HSDD), mit der dem Mangel an sexueller Lust bei Frauen ein Label gegeben wird. Addyi soll nun bei betroffenen Frauen für Abhilfe sorgen – für voraussichtlich etwa 400$ pro Monat und notwendiger täglicher Einnahme.

Die Pille wurde ursprünglich in Deutschland von Boehringer Ingelheim gegen Depression entwickelt. Das Geschäft mit der Lust schien aber lukrativer und daher versuchte das Pharmaunternehmen  Addyi dort anzusiedeln. Die amerikanische FDA weigerte sich jedoch, die Pille zuzulasssen, weil lediglich ein minimaler Nutzen nachgewiesen wurde und Addyi schlecht verträglich zu sein scheint. So hat dann also eine amerikanische Firma die Rechte an dem Medikament gekauft. Die Firma ist dann nochmal an der FDA gescheitert. Aber Pharmaindustrie wäre nicht Pharmaindustrie, wenn sie kein Geld in die Lobby stecken würde. Das hat die Firma nämlich getan und für sehr viel Geld in einer enormen Lobbykampagne gab es dann die Zulassung seitens FDA.

So, genug ausgeholt. Die Medien haben also nach Zulassung der Pille in den USA über die luststeigernde Pille berichtet. Problem? Ja. Die Pille wirkt nämlich nicht gegen Lust. Es gab insgesamt 7 Studien zu Addyi. In den zwei „wichtigsten“ Studien konnte man etwas nachweisen. Nur nicht, dass die Pille die sexuelle Lust erhöht, obwohl die Studien dies als Ziel hatten. Der einzige Nachweis war die Erhöhung „zufriedenstellender sexueller Ereignisse“ pro Monat, die im Vergleich mit einer Placebo Pille von 3,7 auf 4,4 anstiegen. Frauen, die Addyi täglich einnehmen, haben also 0,7 mehr zufriedenstellenden Sex pro Monat. Das Problem ist nun, dass die Störung, bei der Addyi verschrieben wird „Mangel an sexueller Lust“ heißt und dabei hilft die Pille nicht. Dies konnten die Studien wie gesagt nicht nachweisen. Der Viagra Vergleich hinkt übrigens auch. Das hätte den Medien ebenfalls auffallen können, weil sie doch ständig von der Pille für mehr Lust schrieben. Addyi soll im Kopf wirken und nicht in der Hose. Viagra hingegen macht nicht mehr Lust im Kopf, sondern zielt auf die Erektion in der Hose ab. Unabhängig davon nimmt man(n) Viagra bei einer sich anbahnenden, sexuellen Situation. Addyi hingegen ist eine Dauermedikation. Was uns schlussendlich zu den möglichen Nebenwirkungen führt. Häufig treten Ohnmacht, Schwindelgefühl, Übelkeit und Müdigkeit auf. Das wird wohl den wenigsten Frauen mehr Lust auf Sex bereiten. Von Alkohol sollte man sich auch fern halten.

Wer jetzt noch nicht skeptisch ist, kann sich noch folgendes vor Augen führen: die Studien mit Addyi konnten wenig Positives vorweisen, obwohl sie vom herstellenden Pharmaunternehmen selbst finanziert wurden. Die finden normalerweise so einiges, weil sie es wirklich wirklich wirklich gerne wollen. Sonst verkauft sich das Ding ja nicht.

Roman
Roman
Geboren im Ruhrgebeat und nach 6 Jahren Ausland, hat Roman 2013 Berlin zu seiner Wahlheimat gemacht. Neben der täglichen, leidenschaftlichen Suche nach neuer, guter Musik (fast) aller Genres, ist er Wissenschaftler.

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