StartKritikenAntilopen Gang - Anarchie und Alltag (Kritik)

Antilopen Gang – Anarchie und Alltag (Kritik)

„Anarchie und Alltag“ heißt das neue Album der Antilopen Gang. Nach dem ersten Album „Aversion“ und dem MixTape „Abwasser“ bleibt sich die Gang nicht nur bei der Namensgebung treu, sondern setzt auch den Mix aus politischer Message, Provokation und die ironische Abhandlung aktueller Themen fort. Dass die Gang sich dabei selbst nicht immer so ernst nimmt war zu erwarten. So fordern die Rapper zum Beispiel Deutschland abzuschaffen und in ein riesiges Baggersee-Freizeitparadies umzuwandeln.

Schon das Albumcover macht den antithetischen Stil der Band deutlich. Abgebildet ist eine spießig-ruhige Großstadtidylle in Form eines schickem weißen Neubau Reihenhaus mit großem Garten, spielenden Kindern und glücklichen Nachbarn: Der Traum einer gutbürgerlichen Kleinfamilie. Erst der Schatten eines Kampfjets soll dann wohl die Anarchie im Alltag deutlich machen. Zwei intensive Jahre haben die Antilopen hinter sich. Das Album Aversion katapultierte die Jungs in die Nachrichtenzeitungen der Bundesrepublik, die Charts und nicht zuletzt in die Tagesschau. Sie haben einen Nerv der Zeit getroffen: Rap der mit Pop, intelligentem Wortwitz und politischer Aussage gegen AfD und Konsorten glänzen konnte. Dass der ein oder andere die Antilopen als Quotenrebellen zu sich einladen wollte, haben sie selbst gemerkt, aber scheinen bereits einen Plan ausgeheckt zu haben.

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Der Song „Das trojanische Pferd“, der zusammen mit Video als erstes erschienen ist, gibt einen ersten Vorgeschmack darauf, dass die Antilopen Gang immer noch nicht allen gefallen möchte und ihre Haltung auch weiterhin ohne Vorbehalte sagt. Das Trojanische Pferd soll wohl unmissverständlich deutlich machen, dass Danger Dan, Koljah und Panik Panzer immer noch die radikalen Anti-Alles-Akteure sind, die sie mal waren. Das einzige Ziel sei immer noch die Welt einstürzen zu lassen. Ihr Auftritt in der Tagesschau wäre lediglich ein dummer Trick gewesen, um die Abschaffung der Bundesrepublik zu fordern. Also immer noch getreu nach dem Motto: Deutschland muss sterben, damit wir leben können. Der Revolutionäre Kampfgeist dahinter ist allerdings so glaubwürdig wie, dass unsere Welt durch Pizza gerettet wird.

Sich der Mittel der Gesellschaft zu bedienen, welche man verachtet, um sie letztendlich zu stürzen. Ist das nun der große Clou oder einfach nur eine notdürftige und ironische Erklärung dafür warum die Band, die selbst und bewusst die Rolle der gesellschaftlichen Außenseiter annimmt, auf einmal in der Tagesschau zu sehen ist oder Interviews mit der Springer-Presse führt? Zu ernst nehmen sollte man die Rapper allerdings sowieso nicht, da das Mittel der Ironie auch auf dem neuen Album eines der prägendsten Merkmale bleibt. Das merkt man deutlich in dem Musikvideo zu „Pizza“. Der Song hat einen genauso feierbaren flow wie die Lieder „Verliebt“ oder „Enkeltrick“ vom Album „Aversion“. Besonders nachdenklich, tiefgründig oder intellektuell ist der Song nicht, weshalb man ihn bestimmt in Zukunft auch auf Partys, Festival Campingplätzen oder im Radio mitsingen kann: „Ooh ich glaube fest daran, dass uns Pizza retten kann“ Die Leidenschaft und Vorliebe für Pizza verbinde die ganze Welt und gelte somit als Symbol für Frieden. Naja, der Beat ist poppig und der Refrain eingängig. Potential zum Hit ist da, ähnlich wie beim Song „Holz“ der 257ers.  Für alteingeschworene Fans, die die Antilopen für ihre gnadenlos ehrlichen, depressiven, verkopften Texte feiern, dürfte es allerdings nicht der Lieblingssong werden.

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Diese finden sich dafür auf dem zweiten Song der Platte „Patientenkollektiv“ wieder. Dieser greift das Thema psychische Krankheit und den gesellschaftlichen Umgang damit auf. Ein treibender Beat untermalt die Aufforderung, dass gesellschaftliche Anerkennung nicht das Ziel sein kann auf. An der Welt nicht zu verzweifeln gelte als gesund. Aus der Krankheit wolle man eine Waffe machen. Das klingt nach der alten Gang. Die Haltung, das Isolation, Drogenkonsum oder depressiv zu sein genauso zum Leben dazu gehört wie Karriere zu machen oder zu schuften, ist eine alte Grundhaltung der Antilopen Gang. Wer auch so denkt, kann sich bei der kommenden Tour mit der Gang im Patientenkollektiv zusammenschießen und die Konzerte als Gruppentherapie nutzen. Kollektives Verzweifeln, kollektives verrückt werden und kollektives Abgrenzen von der gesellschaftlichen Norm. Auch im Song „ALF“ wird von einer empfundenen Fremdheit für die Gesellschaft und die damit verbundene Isolation  gesprochen. Danger Dan rappt davon, dass das Angebot viel Geld zu verdienen, Karriere zu machen ihn nicht reize oder motivierte. Etwas was allerdings immer half, wenn er nicht weiterwusste, war eine Folge Alf. Die Rapper identifizieren sich mit dem Charakter aus der Sitcom. Das klingt primitiv, ist auf dem Song allerdings extrem gut umgesetzt.

Der Song „Fiasko“ ist ein typischer Arm-wipp-Song. Trotz klassischem Rap Beat wird auf diesem Song ganz deutlich, dass Koljah, Danger Dan und Panik Panzer nicht einfach nur typische Rapper sondern irgendwie auch Punker sind. „Das ist Fiasko – Musik für Freaks und Kinder vom Bahnhof Zoo“ sagt Danger Dan und bringt es damit letztendlich auf den Punkt. Die Anarchie im Alltag wird untermalt und der Schein des  Erfolges ein bisschen verdünnt, so dass die Jungs sich wieder wohlfühlen. Punk pur ist auch der Song „Baggersee“. Deutschland durch einen Baggersee ersetzen, eine Atombombe auf Deutschland schmeißen. Soweit der Plan. Der Krater soll dann als eine Art Baggersee geflutet werden. Darin sehen die Rapper oder in dem Fall Punker neben „Pizza“ die Lösung das Problems: Schließlich wäre dann Ruhe im Karton und alle könnten schwimmen, Tretboot fahren oder Enten füttern. Das Deutschland überhaupt existiert, halten sie für einen historischen Fehler. Damit führen die Antilopen ihren Plan aus der Tagesschau, über das Trojanische Pferd bis hin zum Baggersee fort. Die Antilopen Gang können eben auch im öffentlich rechtlichen auftreten oder das Titelbild der „Deutschland deine Rapper“-Playlist bei Spotify sein und immer noch die Vernichtung von Deutschland fordern. Die Hamburger Punkband Slime landete für solche Aussagen noch auf dem Index. Geschickt die Antilopen. Politisch ernster geht es auf dem Song „RAF Rentner“ weiter. Der Song zeigt vor allem, dass die Antilopen Gang in der Lage sind zu differenzieren. Auf der einen Seite wird die letzte Generation der RAF kritisiert und auf der anderen Seite wird sich über die verbliebenen Gestalten der RAF, welche sich mittlerweile im Rentenalter befinden lustig gemacht.

Ihrem Kumpel und Rapper Fatoni haben die Jungs sich für den Song „Liebe Grüße“ mit aufs Album geholt. „Liebe Grüße“ wünschen die Jungs nur Leuten auf die sie eigentlich gar keinen Bock haben. Der Wunsch ist somit nur eine billige Floskel und es wird eigentlich das Gegenteil gemeint. Er überzeugt durch seine gesamte Art und erinnert entfernt an den alten Stil der Fantastischen Vier. Vom Thema bis zum Refrain und Beat macht der Track richtig Laune und lässt sich definitiv mehrmals hintereinander hören. Der Song „Tindermatch“ ist ähnlich aufgebaut wie „Enkeltrick“. Geniales Storytelling, Klavierbeat und die Analyse von Randfiguren unserer Gesellschaft. Salafist Dennis und besorgter Bürger Lutz werden einander auf Tinder vorgeschlagen. Wie es dazu kam, hört selbst.

„Hilfe“ heißt der Song der den Alltag wohl am besten verkörpert. Angefangen mit der Szene des Aufstehens bis zu den kleinen alltäglichen Bestandteilen des Alltages wird davon gesungen Hilfe zu benötigen. Die Trägheit, das Selbstmitleid und Lethargie springt einem mit jedem Wort entgegen. Selbstironisch bezeichnen sich die Antilopen als Trauerklos, trauriger Fettsack oder sogar Fan von Thomas D. Die Anarchie im Alltag wird zum Ende mit einer trashigen Punkversion der gesungenen Hook deutlich. Die Hook des Songs „Fugen im Parkett“ singen die Antilopen ausnahmsweise nicht selber sondern der deutsche Kult Sänger Schorsch Kamerun. Mit vielen Metaphern und Symbolkraft wird über Versagen und verlorenes Potential philosophiert. Die sprachliche Stärke und das Gefühl für treffende Vergleiche in Verbindung mit einem schräg gesungenen Refrain von Schorsch Kamerun der zum Ende des Songs in Geheule umschlägt, macht das Lied zu einem Meisterwerk.

Bis auf den Song „Flop“ bei dem der Name auch Programm ist, kommt „Anarchie und Alltag“ mit seinen 14 Songs, durchaus an „Aversion“ heran und bietet  den einen oder anderen Hit. Die Antilopen sind immer noch radikal, sagen immer noch was sie wollen und wollen immer noch nicht einfach nur gefallen. Das dazugehörige Punkalbum „Atombombe auf Deutschland“ auf denen sich viele prominente Gäste wie Campino, Wölfi oder Bela B wiederfinden, macht dann den Release noch perfekt. Was allerdings auffällt, ist das das neue Album nicht mehr ganz so konkret politisch ist wie beispielsweise der Song „Beate Tschäpe hört U2“ vom Album „Aversion“. Auch das verstorbene Bandmitglied „NMZS“ findet im Gegensatz zu Aversion kaum noch Erwähnung. Aber das zeigt auch, dass die Antilopen sich weiterentwickelt haben und mit neuer Frische ein starkes Album erarbeitet haben. Die Gang ist zwar durch ihre ironische Art nicht immer direkt zu verstehen aber bleibt sich in jedem ihrer Songs treu. Auszeichnen tun sich die Antilopen dadurch, dass sie sich um den ganzen Trubel nicht bemühen, sondern einfach durch ihren Stil interessant wurden. Das hört man auch auf dem neuen Album heraus. Wenn sich deutsche Rapper selber nicht so ernst nehmen hinterlässt das gerade in ernsten Zeiten einen symphatischen Eindruck.

„Anarchie und Alltag“ erscheint auf Vinyl und digital auf CD oder als Download am 20. Januar auf Jochens kleine Plattenfirma GmbH & Co. KG.

Albumstream „Anarchie und Alltag“ und „Atombombe auf Deutschland“

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