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Album der Woche: The xx – I See You (Kritik)

Ein Hall & Oates Sample, fünf Trompeten-Stöße und ein „Oh – ho – o“ Refrain: Mehr braucht es nicht, um den empfindlichen The-xx-Hörer auf die Expedition vorzubereiten, die die drei noch immer recht bleichen Briten auf ihrem dritten Album gemeinsam mit ihm wagen wollen. Angekündigt hatte sich die Modifizierung ihrer hermetischen Klangräume bereits seit ein paar Jahren ebenso behutsam wie beharrlich, am deutlichsten wohl durch Jamie Smiths hervorragendes Solo-Album „In Colour“, auf dem seine Kollegen insgesamt dreimal gastierten und anzeigten, in welche Richtung es auch mit der gesamten Band gehen könnte. Nach wie vor stand jedoch zu befürchten, dass sie den entscheidenden Schritt nicht würden gehen können, wie auf ihrem zweiten Album „Coexist“, dessen mit einem Uptempo-Beat ausgestatteter Song „Swept Away“ zwar erste Schritte auf der Tanzfläche wagte, jedoch kaum Breitenwirkung erzielte.

Die lange Arbeitszeit, die The xx in „I See You“ investiert haben, zeigte bereits an, dass sie sich ihrer problematischen Lage bewusst sind. Einerseits war der Minimalismus von Anfang an ihr Markenzeichen, andererseits erwies sich die verstärkte Reduktion, die sie in Folge ihres Debüts betrieben, kaum eine sinnvolle Fortsetzung ihres Sounds zu bieten. Es brauchte einiges an Fingerspitzengefühl, um die Einflüsse aus modernem R’n’B und britischer Bassmusik, die schon immer in stark verdichteter Form Bestandteil ihres Sounds waren, langsam zu entfalten und nun selbstbewusst, in schillernden Farben erstrahlen zu lassen, ohne das bandinterne Stilgefühl zu verraten. Die Monochromie der ersten Platten ist noch spürbar, doch auch auf dem Cover einer Blauhimmligkeit gewichen, die die kräftigen Farben im Video zur ersten Single „On Hold“ bereits vorwegnahmen.

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Überhaupt erwies sich diese als perfekter Einstieg in das erneuerte Klangbild: Die alten Zutaten sind noch vorhanden, der Duett-Gesang, die Befindlichkeiten junger Westeuropäer, der strenge Bass, die hallenden Klangräume, nur dass Smith dieses Mal eben nach ein paar Sekunden von hinten einen infektiösen Beat in den Song dreht, um im Refrain eben jenes eingangs erwähnte Hall & Oates Sample einer Discokugel gleich durch den tanzbaren Song schimmern zu lassen. Wen das bereits abschreckte, den stößt das Album mit seinem Opener „Dangerous“ umso heftiger vor den Kopf: Statt elegischer Gitarrenklänge begrüßen dieses Mal wuchtige Bläser, gefolgt von einer groovenden Basslinie und shufflenden Post-Dubstep-Drums. Kein klarer Marschbefehl für das Album, aber doch eine deutliche Ansage.

Natürlich finden sich auf „I See You“ auch gewohnt introvertierte Momente, denen The xx dieses Mal jedoch gerne einen Dreh verpassen, der ihre routinierten Strukturen aufbricht. Im Hintergrund von „A Violent Noise“ lauert etwa ganz sicher irgendwo die große Radio-House-Peitsche, die jedoch nur bisweilen an den Rändern des Songs geschwungen wird, ohne Sims und Madley Crofts gewohntes Spiel zu beeinträchtigen. Selbst die wirklich melancholischen Situationen des Albums klingen anders als bisher; während „Test Me“ mit sanftem Klavier und leise herüberhallenden, teils nicht näher benennbaren Sounds jedoch an das restliche Design der Platte anknüpft, ist Madley Crofts Solonummer „Performance“ eine absolut herausragende Leistung geworden. Über einem porösen Klanggeäst aus Bass, Streichern und Gitarre breitet sie in einer sehr nuancierten Darbietung Ansichten zum Thema Nähe und Distanz aus, zu denen sich zwar Vergleiche innerhalb der bandeigenen Diskographie ziehen lassen, aber eben keine, die die Faszination hinter diesem Song vollständig abdecken.

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Doch wie gesagt: Auch auf „I See You“ bildet dieser Ansatz eine Ausnahme, die Regel sind eher Stücke, die mehr oder weniger dynamisch Samples und elektronische Versatzstücke in bekannte Klanglandschaften integrieren. Wie viel Hit dabei herumkommen darf, testet etwa die auf einem Alessi-Brothers-Sample aufbauende zweite Single „Say Something Loving“ aus, die die alte Geschichte von der Verlustangst in den Strophen recht reduziert, im Refrain jedoch angenehm hymnisch interpretiert. Den Bogen überspannt in dieser Hinsicht vielleicht nur „I Dare You“ mit seinen eingangs erwähnten „Oh – ho – o“ Chören, die dann doch deutlich in Richtung Radio schielen.

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Im Grunde vermasseln The xx aber auch diesen Moment nicht, eben weil ihre Musik zwar selbstbewusster und abenteuerlustiger, aber dabei nicht blauäugig geworden ist. Die lange Arbeitszeit und die zahlreichen Ortswechsel während der Produktion wären bei anderen Bands ein sicheres Indiz dafür gewesen, dass sie die Sache zu sehr durchdacht haben. „I See You“ hat diese Bedenkzeit gut getan, eben weil The xx bei aller Emotionalität immer auch eine Band des guten Geschmacks, des wohlüberlegten Schritts waren. Was in ihren Texten oft einer Nabelschau glich, machte ihre Musik so unfehlbar stilsicher. Natürlich fehlt hier in manchen Ecken die Genialität des maximalen Effekts mit minimalen Mitteln, doch „xx“, jenes grandiose Debüt, ist eben bereits vor acht Jahren erschienen und als prägender Moment in die Popgeschichte eingegangen. Es war Zeit, sich davon zu lösen, und eine gelungenere Emanzipation als „I See You“ hat man in den vergangenen Jahren wohl kaum gehört. Ein Triumph.

„I See You“ erscheint am 13.01. via Young Turks auf Platte, CD und digital. The xx sind im Februar auf Tour.

Albumstream I See You

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Sebastian
Sebastian
Aus Saarbrücken, in Münster, immer auf Testspiel, manchmal auch hier: http://mordopolus.tumblr.com/

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