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Album der Woche: Bon Iver – 22, A Million (Kritik)

Coverart zu „22, A Million“

Fünf Jahre nach „Bon Iver, Bon Iver“ veröffentlicht Justin Vernon am Freitag seinen neuen Longplayer, einen Anschlag auf jede Tastatur der Welt. Die Titel der einzelnen Tracks auf „22, A Million“ ließen sich mit folgenden Symbolen zusammenfassen: __#⚄♢Σ__. Bereits im August präsentierte der Amerikaner das Album auf dem eigenen Festival in seiner Heimatstadt Eaux Claires und ließ die internationale Musikszene kollektiv durchdrehen. Erneut schafft es der feuchte Traum aller Hipster-Girls sein komplettes Album wie ein vertraktes, anspruchsvolles Kunstwerk klingen zu lassen. Dabei scheint das Rezept von Vernon simpler, als die Zubereitung einer Tiefkühlpizza: Man haucht ein paar doppeldeutige Zeilen über Wälder, Landschaften, Einsamkeit und Melancholie in ein Diktiergerät, jagt die Aufnahme durch Auto-Tune und fertig ist die moderne Stimme der Sensibilität des Pop-Business, die man auch schon in der ersten Single-Auskopplung, „22 (OVER S∞∞N)“, zu hören bekam.

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Auf „10 d E A T h b R E a s T âš„ âš„“, dem zweiten Track des Albums mit den schrecklichsten Songtiteln in der Musikgeschichte, zeigt Justin Vernon, dass er seine gelbe Waldschrat-Wollmütze wohl gegen ein MacBook und dürftige Ableton-Skills eingetauscht hat. Im ersten Moment dachte ich, dass die Soundkarte meines Laptops oder meine Kopfhörer kaputt wären, es scheint jedoch so, als sollte das so klingen, wie es halt klingt. Vollkommen überdrehtes Brummen von Lautsprechern und ein treibender Klatsch-Rhythmus leiten den Klimax des Albums ein. Ich glaube, ich habe noch nie zuvor bei einem Bon Iver-Song überlegt, ob der Künstler vielleicht von mir erwarten könnte, dass ich tanze. Vielleicht haben die regelmäßigen Chillout-Sessions mit Kanye West ihn zu diesem Beat-lastigen Song veranlasst, wer weiss. Nach so viel Aufregung und Innovation passiert ein paar Minuten lang nicht wirklich viel. Vernon singt über verlassene Wälder und Spaziergänge an Bächern, fummelt an Auto-Tune rum und experimentiert mit griechischen Buchstaben („715 – CRΣΣKS“). Ein persönliches Highlight stellt der fünfte Titel des Albums, „29 #Stratford Apts“, dar, denn hier beginnt Bon Iver tatsächlich mal nach Bon Iver zu klingen. Ein wenig Übersteuerung kann er sich nicht verkneifen, aber das sei ihm gegönnt.

FOTO: CAMERON WITTIG & CRYSTAL QUINN

Auch der folgende Titel lässt erhoffen, dass die zweite Hälfte des Albums die fünfjährige Pause zwischen „Bon Iver, Bon Iver“ und „22, A Million“ sich gelohnt hat. Tatsächlich, denn das Album scheint ruhiger und melancholischer zu werden. Ein langes, verzerrtes Saxophon-Sample verbindet „21 M♢♢N WATER“ mit „8 (circle)“ und versetzt mich in diese wohlige, warme Bon Iver-Stimmung, zu der vor meinem inneren Fenster Schneeflocken fallen und der Kaffeebecher vor mir den Raum mit einem angenehmen Duft erfüllt. Endlich knistert es wieder, endlich rauscht irgendwo etwas im Hintergrund, endlich gibt es wieder neues Material von Bon Iver. So sehr, wie ich ihn gerade für die Wahl seiner Songtitel hasse, so sehr freue ich mich auch darüber, endlich wieder ein Album rezensieren zu können, welches ich mir immer und immer wieder anhören werde, weil es einfach nicht langweilig wird. Gefällt mir wirklich jeder einzelne Track? Nein, aber darauf kommt es auch nicht an. Für mich kommt es darauf an, dass sich Justin Vernon in den letzten Jahren an neuen Techniken, neuen Songstrukturen und neuen Sounds probiert hat, während er gleichzeitig nahtlos an ein Album anknüpft, dessen Veröffentlichung ein halbes Jahrzehnt zurückliegt. Genau davor ziehe ich meinen Hut, denn das schaffen nicht viele Künstler.

Generell lässt sich sagen, dass „22, A Million“ zu den ganz großen Alben des Jahres gehören wird, da es etwas neues und innovatives darstellt. Selbst wenn man kein Fan bisheriger Bon Iver-Veröffentlichungen ist, so wird man nach dem erstmaligen Hören erfreut darüber sein, dass man ein Album zu Ohren bekommen hat, welches gleichzeitig so simpel, anspruchsvoll und kurzweilig ist. Chapeau, Mr. Vernon.

9,5 (Songtitel-Abzug)/10

„22, A Million“ erscheint am kommenden Freitag via Jagjaguwar

„22, A Million“ Bon Iver (Albumstream)

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Hendrik
Hendrik
Hendrik kommt aus Hamburg und macht beruflich irgendwas mit Medien. Und Facebook. Und natürlich auch Digitalkram.

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